Vernehmlassung zur Kulturbotschaft 2025-2028 – Vernehmlassungsantwort der igKultur Ost
Sehr geehrter Herr Bundesrat, Sehr geehrte Damen und Herren
Die igKultur Ost begrüsst als Interessenvertreterin von Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen in der Ostschweiz die Gelegenheit, sich zum Entwurf der Kulturbotschaft 2025-2028 des Bundes vernehmen zu lassen, ausdrücklich.
Wir gehen mit den Analysen, welche der Kulturbotschaft zugrunde liegen, weitestgehend einig. Entsprechend unterstützt die igKultur Ost grundsätzlich die Ziele der sechs Handlungsfelder:
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Sicherstellung einer angemessenen Entschädigung professioneller Kulturschaffender sowie Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen und der Chancengleichheit.
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Berücksichtigung von Fördermassnahmen, die den ganzen kreativen Wertschöpfungsprozess einbeziehen, und Anpassung des Förderangebots an neue Entwicklungen.
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Unterstützung der digitalen Transformation der Kulturakteure und Berücksichtigung neuer digitaler und hybrider Formate der Produktion, Verbreitung und Vermittlung.
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Unterstützung der Nachhaltigkeit im Kultursektor und Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch einen breiten Zugang zur Kultur.
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Bewahrung, Weiterentwicklung und Vermittlung des materiellen, immateriellen und digitalen Kulturerbes der Schweiz und transparente Aufarbeitung belasteten Kulturerbes.
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Stärkung der Kooperation und Koordination zwischen den Kulturakteuren in der Schweiz, verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Politikbereichen und in der internationalen Kulturpolitik sowie Aufbau eines Monitorings zum Kultursektor unter Berücksichtigung der beruflichen Rahmenbedingungen und der Chancengleichheit.
Die zahlreichen berechtigten Anliegen und die zeitgemässe Erweiterung des Kulturförder-Begriffs sind nicht ohne zusätzliche Mittel zu realisieren. Deshalb kritisiert die igKultur Ost die geplanten Kreditkürzungen und fordert eine Erhöhung des Budgets. Wir schliessen uns dem Grundsatz an, den die Taskforce Kultur in ihrer Vernehmlassungs-Stellungnahme festhält: Neue Förderinstrumente und - schwerpunkte müssen auch mit entsprechenden zusätzlichen Mitteln versehen werden. Die Erwartung an die Kultur, wichtige gesellschaftliche Aufgaben wie die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die kulturelle Teilhabe, Integration, Nachhaltigkeit und Diversität zu erfüllen, sowie die dringende Transformation des Kulturbetriebs in ökologischer und ressourcenschonender Hinsicht muss mit dem politischen Willen verbunden sein, diese neuen Aufgaben auch zu finanzieren, ohne die bestehenden zu vernachlässigen.
Im Folgenden äussert sich die igKultur Ost zu den Handlungsfeldern «Kultur als Arbeitsfeld» (2.1), «Aktualisierung der Kulturförderung» (2.2.) und «Kultur als Dimension der Nachhaltigkeit» (2.4.).
1 Kultur als Arbeitsfeld (Punkt 2.1 der Kulturbotschaft)
Unsere Mitglieder und uns beschäftigt die Arbeitssituation vieler Kulturschaffenden und die Problematiken, die sich in der Covid-19-Pandemie scharf abgezeichnet haben. Wir gehen mit der Stossrichtung der Kulturbotschaft einig, dass Initiativen zur Verbesserung des Einkommens und der sozialen Sicherheit von Kulturschaffenden nötig sind. Eine entscheidende Verbesserung stellt die Verpflichtung dar, für unterstützte Kulturprojekte die von den Branchenverbänden festgelegten Mindesthonorare und die sozialversicherungsmässige Absicherung der Kunstschaffenden verbindlich festzuschreiben.
◼ Die konsequente Berücksichtigung branchenüblicher Honorare ist mit zusätzlichen Kosten verbunden. Sie kann weder projektseitig noch förderseitig kostenneutral eingehalten werden. Dazu erhoffen wir uns konkrete Aussagen in der überarbeiteten Kulturbotschaft.
Ebenso unterstützen wir die Bestrebungen zur Gleichstellung der Geschlechter und die Chancengleichheit unterrepräsentierter Personengruppen. Der Grundsatz ist richtig: «Zusätzlich zur Gleichberechtigung der Geschlechter und der Landessprachen ist die Chancengleichheit unterrepräsentierter Personengruppen im Kulturbereich besser zu verankern. Teilhabe am Kulturleben bedeutet Wertschätzung des kulturellen Beitrags von Einzelnen und Gruppen und die Möglichkeit zur Mitgestaltung des öffentlichen Lebens.»
◼ Teilhabe beginnt in den Schulen. Die Vernetzung von Kulturförderung und Schulen ist grundsätzlich etabliert (in der Ostschweiz über kklick). Aber es braucht eine Stärkung dieser Angebote, damit das schöne Wort von der kulturellen Teilhabe nicht eine leere Behauptung bleibt. Viele Schulen haben Mühe, die Vermittlungsangebote zu nutzen (zuwenig Zeit und Geld).
Den Vorschlag zur Einrichtung einer gesamtschweizerischen Beratungs- und Dienstleistungsstelle für Kulturschaffende sieht die igKultur Ost eher kritisch (vgl. Ziff. 5.1.1 des erläuternden Berichts). Das dafür nötige Knowhow und ein entsprechendes Angebot ist bei den Berufsverbänden und Interessevertretungen, zu denen sich auch die igKultur Ost zählt, bereits vorhanden. Gerade die regionale Verankerung erlaubt es uns, Probleme und Herausforderungen sowie neue Tendenzen frühzeitig zu erkennen. IGs und Branchenverbände sind nah an den Kulturschaffenden, sie bieten einfach zugängliche Netzwerke, das Vertrauen in sie ist vorhanden.
◼ Die bestehenden Beratungsangebote der Interessengemeinschaften der Kultur und der
Berufsverbände sollen daher nicht konkurrenziert werden, vielmehr ist eine
Unterstützung solcher Angebote durch den Bund zu prüfen.
Zu «Chancengleichheit und Diversität» gehört schliesslich auch die Vereinbarkeit von Familie und Kunstberuf. Die meisten Kunstschaffenden können nicht allein von ihrer künstlerischen Tätigkeit leben, sondern brauchen einen «Brotjob», um zu überleben. Für sie bedeutet die Gründung einer Familie eine Dreifachbelastung, die ohne Unterstützung häufig zur Aufgabe des Kunstberufs oder zum Verzicht auf Kinder führt.
◼ Die igKultur Ost fordert eine stärkere Reflexion der Förderinstrumente und der Förderpraxis unter dem Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und künstlerischer Tätigkeit.
2 Aktualisierung der Kulturförderung (Punkt 2.2. der Kulturbotschaft)
Das Ziel ist plausibel: «Berücksichtigung von Fördermassnahmen, die den ganzen kreativen Wertschöpfungsprozess einbeziehen, und Anpassung des Förderangebots an neue Entwicklungen». Gefragt sind insbesondere neue Fördermodelle, welche die der Produktion vor- und nachgelagerten Arbeitsprozesse berücksichtigen und damit die einseitige Konzentration der Förderung (und Rezeption) auf die Produktion und Präsentation künstlerischer Werke korrigieren. Die igKultur Ost begrüsst neue Fördermodelle, wie sie teils in den Ostschweizer Kantonen erprobt werden (zB das Recherchestipendium der Thurgauer Kulturstiftung oder die Artist-in-Residence-Förderung der Ausserrhodischen Kulturstiftung).
◼ Wiederum ist zu betonen, dass die Entwicklung neuer Fördergefässe nicht auf Kosten etablierter Modelle geschehen darf, sondern eine Erweiterung der Förderung bedeutet und auch strukturelle Fördermassnahmen mitberücksichtigen sollte. Entsprechend fehlt auch hier der Hinweis auf die Finanzierung neuer Angebote.
Insgesamt begrüssen wir die Ausführungen und Anpassungen der Förderbereiche und Sparten unter
Ziff. 5.2. Es ist auch zu begrüssen, dass die Unterstützung von Festivals,
Veranstaltungsorten und Plattform zur inländischen Promotion in der vorliegenden Botschaft
umrissen wird und die Fördermassnahmen für verschiedene Musikgenres ausgeglichen werden
sollen. Jedoch wird die Wichtigkeit der gesamten Veranstaltungsbranche für die Verbreitung der
Kultur im Inland nicht ausreichend gewürdigt. Der Vielzahl von Locations, Festivals und Eventlabels
und Agenturen wird in der Kulturbotschaft faktisch keine Aufmerksamkeit geschenkt. Diese
Akteur:innen stärken mit unzähligen Veranstaltungen nicht nur die kulturelle Identität und den
nationalen Austausch zwischen Kulturschaffenden und der Bevölkerung, sondern auch die
Verbreitung des hiesigen Kulturschaffens im Ausland.
Zu den grossen Abwesenden in der Kulturbotschaft 2025-2028 zählt, gemessen an ihrer hohen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung, insbesondere die Clubkultur.
◼ Es sollte auch für die Kulturbotschaft ein zentrales Anliegen sein, die Clubkultur in ihrer politischen, sozialen und künstlerischen Dimension wahr und auch ernst zu nehmen. Die igKultur Ost erhofft sich eine stärkere Berücksichtigung der musikvermittelnden Institutionen und einen Fokus auf die (gerade in der Ostschweiz) äusserst lebendige Clubkultur.
3 Kultur als Dimension von Nachhaltigkeit (Punkt 2.4. der Kulturbotschaft)
Die Überlegungen in der Kulturbotschaft zur ökologischen beziehungsweise sozialen Nachhaltigkeit der künstlerischen Tätigkeit werden von der igKultur Ost vollumfänglich geteilt und unterstützt. Wiederum bleibt die Botschaft jedoch vage, wenn es um das Stichwort «ressourcenschonende Ausrichtung der kulturellen Praxis» geht. Es ist uns bewusst, dass diese Bemühungen erst am Anfang stehen und erst noch erprobt und reflektiert werden müssen. Dennoch: In diesem Bereich ist «5 ab 12i» und wir brauchen dringend mehr Ressourcen, um die Transformation richtig angehen zu können. In der Kulturbotschaft fehlt die dringliche Priorisierung der ökologischen Nachhaltigkeit.
Kultur könnte und müsste auf dem Weg zur Nachhaltigkeit eine viel wichtigere Vorreiterrolle einnehmen; aktuell ist sie aber überhaupt nicht «vorne mit dabei», sondern verhält sich viel zu passiv. Das hat einerseits mit verkrusteten Strukturen und andererseits mit fehlenden Ressourcen zu tun. Diese Transformation ist ein Riesenprojekt, das entsprechend in den nächsten Jahren (und daher auch in der Kulturbotschaft 2025-2028) priorisiert werden müsste.
◼ Die igKultur Ost vermisst in der Kulturbotschaft verbindliche Aussagen zu Fragen rund um die ressourcenschonende kulturelle Praxis in den verschiedenen Kultursparten und insbesondere in den Bereichen Festivals/internationaler Musikbetrieb und Theater.
Die Kulturbotschaft subsumiert unter dem Begriff der Nachhaltigkeit auch Inklusionsbestrebungen für Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung. Kulturelle Teilhabe muss auch für sie möglich sein. Inklusionsbestrebungen sind eine grosse Herausforderung für kulturelle Institutionen. Sie können in der Regel nicht innerhalb des normalen Kreditrahmens realisiert werden, sondern brauchen separate Finanzierungen.
◼ Inklusionsbestrebungen der Museen und anderer Kulturhäuser sind kostenintensiv, da meist mit baulichen Veränderungen im grösseren Stil verbunden. Entsprechend unverzichtbar ist es, für dieses Anliegen die nötigen Kredite zusätzlich einzustellen.
In der aktuellen Kulturbotschaft vermisst die igKultur Ost Aussagen zur Lage und Massnahmen zur Stärkung der Kulturmedien. Die bestehenden Kulturmagazine (in der Ostschweiz insbesondere das Kulturmagazin Saiten und thurgaukultur.ch) gelten als Anker kritischer Reflexion sowie als Vermittlerinnen und Begleiterinnen des zeitgenössischen Kulturschaffens und bilden wichtige Brücken zur Zivilgesellschaft. Die Kulturberichterstattung ist aber schweizweit immer stärkerem finanziellem Druck ausgesetzt und ist zu einem grossen Teil aus der Tagespresse weggebrochen. Die Kulturbotschaft 2025-2028 definiert zwar zum ersten Mal als eines der zentralen Handlungsfelder der Kulturpolitik die «Stärkung der Kooperation und Koordination zwischen den Kulturakteuren in der Schweiz, verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Politikbereichen und in der internationalen Kulturpolitik sowie Aufbau eines Monitorings zum Kultursektor.» Dabei wird aber einer der
zentralen Faktoren dieser Kooperation weitgehend ausgeklammert: der Kulturjournalismus.
◼ Nach Ansicht der igKultur Ost und in Übereinstimmung mit der Vernehmlassungsantwort von ch-intercultur fehlt in der vorliegenden Kulturbotschaft eine entsprechende Analyse – und eine strategische Stossrichtung, wie die Kulturberichterstattung als essenzieller Teil der kulturellen Teilhabe nachhaltig gestärkt und erhalten werden kann.
Fazit
Aus all den oben genannten Gründen ist es notwendig, dass der Kultur in den nächsten Jahren mehr als die in der Botschaft vorgesehenen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Neben einem Ausgleich der effektiven Teuerung und einer Abfederung der für 2024 vorgesehenen globalen Budgetkürzungen ist es schlicht nicht realistisch, die lobenswert zahlreichen zusätzlichen Aufgaben ohne entsprechende Mehrmittel bewältigen zu können, darunter nicht zuletzt auch die klare Erwartung, angemessene Honorare für Kunstschaffende entrichten zu können. In diesem Sinn schliesst sich die igKultur Ost der Vernehmlassungsstellungnahme der Taskforce Kultur an:
◼ Allein angesichts der Tatsache, dass die Schweizerische Nationalbank für 2025 von einer Teuerung von 2.1% ausgeht, ist eine Erhöhung des Kulturbudgets um mindestens 2.5% (anstelle des vorgesehenen nominalen Wachstums von 1.2%) unabdingbar.
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Die igKultur Ost
Die Interessengemeinschaft igKultur Ost setzt sich für die Belange und die Bedürfnisse der Kultur in der Ostschweiz ein. Sie vertritt seit ihrer Gründung im April 2019 mehrere hundert Kulturschaffenden und -institutionen in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden, St. Gallen und Thurgau.
Seit Mai 2022 verfügt die igKultur Ost über eine Geschäftsstelle. Zusammen mit dem ehrenamtlich tätigen Vorstand vernetzt sie sich mit Personen, Institutionen und Verbänden aus Kultur, Wirtschaft und Politik, nimmt Stellung zu kulturpolitischen Themen und bringt sich als Gesprächspartnerin der Behörden in die politischen und kulturellen Prozesse ein. Sie ist offen gegenüber Initiativen, die das Potenzial der Kultur fördern und zur Demokratievielfalt beitragen.
Um im Bedarfsfall rasch reagieren zu können, arbeitet die igKultur Ost mit Ressortverantwortlichen und schlanken Strukturen. Der Verein ist in drei Sektionen (Appenzell Ausserrhoden, Thurgau und St.Gallen) aufgeteilt. Jeder Sektion steht ein Vorstandsmitglied vor. Auf diese Weise werden den unterschiedlichen kantonalen Rahmenbedingungen adäquat Rechnung getragen.
igKultur Ost Dürrenmattstrasse 24, 9000 St. Gallen