Sehr geehrte Frau Regierungsrätin Susanne Hartmann,
sehr geehrte Frau Regierungsrätin Laura Bucher,
sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin Maria Pappa,
hiermit stellen wir ein Gesuch an die Stadt und den Kanton St.Gallen, die Baubewilligung für das Provisorium UMBAU von Konzert und Theater St.Gallen auf dem Unteren Brühl in St.Gallen um drei Jahre bis Ende 2026 zu verlängern und das Gebäude für eine dreijährige Pilotphase einer gemischten, gemeinsam entwickelten Nutzung von Konzert und Theater St.Gallen und freier Tanz- und Theaterszene zur Verfügung zu stellen. Die IG Kultur Ost stellt das Gesuch im Namen und im Auftrag von Theater-, Tanz-, Performance- und Musikschaffenden und Institutionen aus der freien Kulturszene.
Nachstehend finden Sie Erläuterungen zur Ausgangslage, zu den Bedürfnissen der freien Szene und den politischen Grundlagen eines «Hauses für die Freien», Informationen zur IG Kultur Ost sowie ein Kurzkonzept für die Mit-Bespielung von UMBAU und Lokremise durch die freie Szene in Kooperation mit Konzert und Theater St.Gallen.
1 Ausgangslage
Das Provisorium UMBAU dient Konzert und Theater St.Gallen (KTSG) als Ersatzspielstätte während der Zeit der Renovation des Theatergebäudes. In den drei Jahren seiner Nutzung von der Spielzeit 2020/21 an hat sich das Provisorium (nach pandemiebedingt schwierigem Start) als ausgezeichneter Theaterraum bewährt.
Die Sonderbewilligung für den Bau läuft Ende 2023 aus. Versuche des Kantons, für seine künftige Nutzung andere Gemeinden zu gewinnen, scheiterten, nachdem in drei interessierten Gemeinden (Buchs, Altstätten, Goldach) Bevölkerung oder Behörden entsprechende Kredite abgelehnt haben.
1.1 Einfache Anfrage Peter Olibet im Stadtparlament
Im Oktober 2022 reichte Stadtparlamentarier Peter Olibet eine Einfache Anfrage zur Zukunft des Provisoriums ein. Olibet schlug darin vor, die Sonderbewilligung für den Bau am heutigen Standort um drei Jahre zu verlängern und den UMBAU als «Labor» für die freie Szene zur Verfügung zu stellen.
«Der Wunsch nach einem Haus für die freie Szene und das – nach dem Abschluss der Sanierung des Theaters – leerstehende Theaterprovisorium könnte zu einem Glücksfall für die Kulturschaffenden in der Stadt St.Gallen werden», schreibt Olibet und fragt den Stadtrat, was für und was gegen eine befristete Nutzung des Provisoriums als «Haus für die freie Szene» spräche, was eine solche Zwischennutzung kosten würde und wer als Trägerschaft in Frage käme.
«Dank der Holzbauweise könnten wohl relativ einfach kleinere, passendere Einheiten geschaffen werden», heisst es in der Anfrage weiter. Grösster Kostenpunkt bei einer Übernahme wäre der Rück- und der Wiederaufbau des Provisoriums. Wenn die Bewilligung auf dem Brühl entsprechend verlängert würden, würden diese Kosten entfallen, so Olibet.
Im UMBAU könnten laut Olibet erste Erfahrungen für ein später zu realisierendes, definitives Haus für die Freien gesammelt werden, wie es im städtischen Kulturkonzept von 2020 gefordert wird. (siehe unten). Zudem böten die unterschiedlichen Räume im Haus, insbesondere das bestehende Foyer, die Möglichkeit weiterer Nutzungen, wie zum Beispiel als dringend benötigter Begegnungsraum für migrantische Kulturvereine.
1.2 Interpellation Martin Sailer im Kantonsrat
Im September 2022 hat Kantonsrat Martin Sailer eine Interpellation zur Zukunft des Provisoriums eingereicht. Sie fragt die Regierung namentlich, ob es einen Plan B gebe, um doch noch einen neuen Standort zu finden, und ob auch die anderen Kantone angeschrieben werden, um in ihren Gemeinden einen Platz zu finden?
Beide politischen Vorstösse sind noch nicht beantwortet.
1.3 Angebot von Theaterdirektor Jan Henric Bogen
Der designierte gesamtverantwortliche Direktor von KTSG, Jan Henric Bogen, brachte in der Folge eine provisorische gemeinsame Nutzung sowohl von UMBAU als auch der Lokremise des Theaters zusammen mit der freien Szene ins Spiel. Er stellte den Vorschlag an einer Podiumsdiskussion im St.Galler Kulturraum Pool vor (17. Januar), Berichte hier: Neue Hoffnung auf ein St.Galler «Kulturhaus» (Saiten), Die Zeit drängt: Die St.Galler Kulturszene fordert verschärft ein Haus für die freie Szene (Tagblatt). Link zum Live-Stream: auf dem Instagram-Kanal der IG Kultur Ost.
Jan Henric Bogen plädierte dabei für eine «Gesamtschau», bei der – für den Fall einer Verlängerung der UMBAU-Bewilligung – auch die Lokremise als Spielort für die «Freien» einbezogen werden könnte. Dies insbesondere auch deshalb, weil der grosse Theaterraum, als den sich der UMBAU in seiner heutigen Form präsentiert, für die teilweise kleinräumigeren Produktionen der freien Theater- und Tanzschaffenden nur bedingt geeignet ist.
Die Idee einer gemeinschaftlichen Nutzung von UMBAU und Lokremise stiess an der Podiumsdiskussion vom 17. Januar 2023 auf viel Zuspruch; auf Plakaten wurden Vorschläge für den Pilot- oder Laborbetrieb gesammelt. Ebenfalls positiv vermerkt wurde, dass mit dem UMBAU vorübergehend auch der Mangel an Aufführungsräumen für nationale oder internationale Gastspiele behoben werden könnte, unter dem St.Gallen leidet und der zur Folge hat, dass Tourneeproduktionen seit Jahren einen Bogen um die Stadt machen.
Der UMBAU sei als hochwertiges Gebäude konzipiert und müsste unbedingt über die Zeit des Umbaus hinaus erhalten bleiben; 25 Jahre könne es mindestens halten, liess sich Theaterdirektor Werner Signer bei der Eröffnung im Oktober 2020 zitieren. Der Bau erfülle alle Anforderungen bezüglich Sicherheit und Brandschutz. Ein solcher Bau sei «eine Riesenchance für die Kulturstadt St.Gallen».
2 Die Bedürfnisse der freien Theater- und Tanzszene
«Die freie Szene ist in verschiedenen temporär begrenzten Räumen untergebracht. Die Auftrittsorte für den freien Tanz und das Theater sind unbefriedigend. Die ständige Raumsuche verbraucht Energie.» Die Sätze könnten aus dem Jahr 2023 stammen – sie finden sich aber, zwanzig Jahre früher, im Konzept für das damals so genannte T-Haus. «T» stand für Tanz, Theater, Text und Ton. Das Haus sollte Räume für die performativen Künste bieten, für Aufführungen ebenso wie zum Proben, und damit eine Lösung bieten für die seit Jahren beklagte Raumnot. Das erhoffte Haus war umfassend gedacht, als «Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in und für St.Gallen» und «Zentrum für zeitgenössische Kultur, Festivalhaus, Produktions- und Arbeitsstätte mit überregionaler Ausstrahlung».
2002 war ein solches Haus für die «Freien» erstmals in greifbare Nähe gerückt. Grund war das Mummenschanz-Haus, das die in St.Gallen domizilierte Pantomimentruppe an der Expo 02 in Biel bespielt und anschliessend der Stadt als Geschenk angeboten hatte. Der Stadtrat schlug vor, es auf der Wiese vor dem Volksbad aufzustellen. In der Volksabstimmung fiel das Projekt dann durch, namentlich weil eine innenstädtische Grünfläche hätte geopfert werden müssen. Ausführliches zum Thema ist auf saiten.ch zu finden.
Neben dem T-Haus-Projekt wären weitere Debatten um Kulturraum in der Stadt St.Gallen zu nennen:
- die langjährigen Kontroversen um die Reithalle, die ursprünglich gemischt genutzt werden sollte, für Reitsport und für Konzerte.
- diverse kurzzeitige Zwischennutzungsprojekte (Haggenstrasse 45, Kulturkonsulat, «Geiler Block» in Rotmonten, im Neudorf und in der Lachen, Nextex, Kino Rex, Ekkehard …).
- Bemühungen um ein Literaturhaus, ua. in der Villa Wiesental; heute ist das Literaturhaus Wyborada nomadisch an wechselnden Orten zu Gast.
- der «heimatlose» Jazzveranstalter Gambrinus, zwischenzeitlich aus der Not als «stadtweiter Jazzclub» bezeichnet, heute in wechselnden Lokalen unterwegs.
3 Die heutige Raumsituation
Für Theater- und Tanzaufführungen stehen in der Stadt St.Gallen folgende Räumlichkeiten zur Verfügung:
Lokremise: grossmehrheitlich von KTSG als Aufführungs- und Produktionsort belegt, Technik für Dritte muss hinzugemietet oder selber gestellt werden, es bestehen kaum Zeitfenster für freie Produktionen.
Grabenhalle: von einzelnen Tanz- und Theatergruppen genutzter Aufführungsort, allerdings mehrheitlich durch Konzerte und Clubveranstaltungen belegt.
POOL: neuer Proberaum, keine Publikumsveranstaltungen möglich wegen mangelndem Brandschutz.
Kreuzbleiche: mehrfach Aufführungsort für Zirkustheater in Zelten (Cie. Buffpapier, Cirque de Loin). Im Sommer 2023 ua. Spielort des neue Inter-Festivals «Paula». Keine dauerhafte Nutzung.
Diverse Orte: Mangels Aufführungsort weichen Theater- und Tanzensembles immer wieder auf theaterfremde Lokalitäten aus, u.a. das Panorama Dance Theater mit Aufführungen in einer Kletterhalle, im Volksbad, im Stadtpark etc.
4 Commitment von Stadt und Kanton
Auf Seiten der Stadt fand das unbestrittene Raumbedürfnis Eingang in das städtische Kulturkonzept 2020. An prominenter Stelle ist dort als Massnahme formuliert: «Ein professionell geführtes Haus bietet Arbeitsräume und Aufführungs-, Ausstellungs- und Koproduktionsräume für die freie Szene. Es funktioniert spartenübergreifend und ermöglicht Gastspiele auswärtiger Gruppen.»
Auf Seiten des Kantons existiert ein ähnliches Bekenntnis. Die Kulturförderstrategie 2020 bis 2027 weist unter Punkt 5.1.4. mit dem Titel «Fördersystem weiterentwickeln» auf die schwierige Situation der freien Szene hin, wenn immer mehr Fördergelder mit Leistungsvereinbarungen an Institutionen gebunden seien. Diese Beiträge verdrängten die freien Projekte, und «in diesem Kontext ist auch ein Manko an Räumen für die freie Szene und besonders den Tanz und das Theater in der Stadt St.Gallen festzustellen».
Als «Handlungsfeld» definiert der Kanton daher: «In den nächsten Jahren ist gemeinsam mit der Stadt St.Gallen eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für das freie Theater, besonders in der Stadt St.Gallen, zu prüfen – für freie Theatergruppen der Ostschweiz ebenso wie im Austausch mit anderen Städten.»
5 Die igKultur Ost
Die Interessengemeinschaft igKultur Ost setzt sich für die Belange und die Bedürfnisse der Kulturschaffenden, Kulturvermittlerinnen und -vermittler und Kulturinstitutionen in der Ostschweiz ein. Einzelmitglied sind Kulturschaffende und Kulturvermittelnde, Künstlerinnen und Künstler aller Sparten, die in der Schweiz leben oder einen Bezug zur Schweiz haben sowie Menschen, die den Vereinszweck unterstützen. Kollektivmitglied sind Kulturinstitutionen sowie Vereine, und sonstige juristische Personen des privaten Rechts sowie Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die in der Schweiz aktiv sind oder einen Bezug zur Schweiz haben und den Vereinszweck unterstützen. Handlungsfelder der IG Kultur Ost sind die Vernetzung der Mitglieder und der kulturellen Szenen, Interventionen zur Kulturpolitik, Beratungsangebote, Stellungnahmen zu kulturellen und gesellschaftlichen Fragen und Lobbyarbeit bei Behörden für die Anliegen der Kultur in der Ostschweiz.
Die IG Kultur Ost wurde im April 2019 gegründet. Heute zählt sie 265 Einzel- und Kollektivmitglieder in allen Ostschweizer Kantonen.
6 UM-SCHWUNG
Kurzkonzept für eine temporäre Doppelnutzung von UMBAU und Lokremise
Grundsätze
UM-SCHWUNG nutzt für eine dreijährige Pilotphase das Provisorium UMBAU und die Lokremise in einer gemischten, gemeinsam entwickelten Nutzung von KTSG und freier Tanz- und Theaterszene sowie spartenübergeifenden Kooperationen.
Ziel ist ein lebendiger, partizipativ entwickelter Veranstaltungs- und Probebetrieb, der allen Interessierten zu niederschwelligen Bedingungen offensteht und möglichst breite Publikumskreise einbezieht. Das Programm in UMBAU und Lokremise erfüllt die Anforderungen an einen barriere- und diskriminierungsfreien Kulturbetrieb.
UM-SCHWUNG ist ein Beitrag zur Stärkung der kulturellen Teilhabe als Auftrag der kantonalen und städtischen Kulturförderung – und zum Abbau der Gräben zwischen etablierter», d.h. institutionell gefestigter Kultur und «freiem» Kulturschaffen.
Als befristeter Labor-Betrieb trägt UM-SCHWUNG zur Klärung der Bedürfnisse der freien Szene und zu ihrer Sichtbarkeit bei und ist damit ein Schritt hin zum im städtischen Kulturkonzept 2020 verankerten «Haus für die Freien».
UM-SCHWUNG versteht sich als Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, des Austausches und der Zusammenarbeit. Kooperationen sind ein selbstverständlicher Teil der Arbeit. UM-SCHWUNG ist Labor und Experimentierraum, Büro und Begegnungsraum, Premiere und Work in progress, Vernetzung unter Kulturschaffenden und Begegnung mit einem vielfältigen Publikum.
Zeitrahmen
Die Pilotphase umfasst die Spielzeiten 2023/24, 2024/25 und 2025/26. In der ersten Spielzeit finden vereinzelte Veranstaltungen statt. Parallel dazu wird die Finanzierung, Kuratierung und Programmierung geklärt. Voll im UM-SCHWUNG sind die beiden nachfolgenden Spielzeiten.
Inhalte
Das Programm umfasst Aufführungen, Workshops, Debatten etc. über alle künstlerischen Sparten hinweg. Vorrangig soll UM-SCHWUNG den performativen Künsten (Tanz, Theater, Performance, Musik) eine Plattform bieten. Priorität haben zudem kulturelle Veranstaltungen von migrantischen Organisationen. Kommerzielle Veranstaltungen zu einem erhöhten Miettarif sind möglich. Das UM-SCHWUNG-Programm ist kuratiert und moderiert und wird im dritten Betriebsjahr evaluiert.
Trägerschaft
Für den dreijährigen Pilotbetrieb wird ein Verein gegründet, dem Vertreter:innen der freien Szene und von KTSG angehören. Die Einzelheiten sind noch zu regeln.
Finanzierung
Die Kosten für einen solchen Pilotbetrieb sind abhängig von der technischen Infrastruktur, die nach der regulären Nutzung durch KTSG im Sommer 2023 im Gebäude verbleiben kann und vom Detailkonzept. Die Betriebskosten (Infrastruktur, Löhne, Öffentlichkeitsarbeit etc.) sind in einem nächsten Schritt im Detail zu evaluieren. Idealerweise werden die Kosten zu je einem Drittel von Kanton und Stadt St.Gallen getragen, das verbleibende Drittel wird aus Beiträgen Privater finanziert.
Herzlichen Dank für die Prüfung unseres Gesuchs. Für Rückfragen und Austausch stehen wir gern zur Verfügung.