Ein Leben als Künstler:in

Zwi­schen Kli­schee und Re­a­li­tät: Wie schil­lernd ist ein Künst­ler:in­nen­le­ben noch im Jahr 2023? Vier Thur­gau­er Kul­tur­schaf­fen­de schrei­ben über ihre Ar­beit und ihr Leben. Sie geben un­ge­wöhn­li­che Ein­bli­cke und räu­men mit alten Kli­schees auf.

Seien wir ehr­lich: Jeder von uns hat so seine ei­ge­ne Vor­stel­lun­gen von dem, was eine:n Künst­ler:in aus­macht. Künst­ler:innen gel­ten wahl­wei­se als ex­zen­trisch, chao­tisch, ge­ni­al und/oder un­or­ga­ni­siert. Viele Men­schen den­ken auch, dass Künst­ler sich durch ihr un­ge­wöhn­li­ches Aus­se­hen aus­zeich­nen. Diese Vor­stel­lung be­ruht auf der An­nah­me, dass Kunst­schaf­fen­de sich be­wusst von ge­sell­schaft­li­chen Nor­men und Kon­ven­ti­o­nen di­stan­zie­ren.

Na­tür­lich sind das alles Kli­schees. Und doch sind sie in vie­len von uns ver­an­kert. So zum Bei­spiel auch die Vor­stel­lung, dass Künst­ler:innen sich für ihre Ar­beit gar nichts an­stren­gen müss­ten, weil ihr aus­ser­ge­wöhn­li­ches Ta­lent und ihre kre­a­ti­ve Bril­lanz sie stets von einem Werk zum an­de­ren tra­gen. Das ist na­tür­lich Quatsch. Kunst kommt nicht nur von Kön­nen, son­dern auch von Wol­len. Und wer sich in der heu­ti­gen Kul­tur­sze­ne be­haup­ten will, der braucht schon ei­ni­ges von die­sem Wol­len.

Ein Blick in die Sta­tis­tik

Wer ein re­a­lis­ti­sches Bild vom Leben als Künst­ler:in in der Schweiz heute be­kom­men möch­te, dem emp­fiehlt sich zu­erst ein Blick in die Sta­tis­tik:

Im Jahr 2022 gab es in der Schweiz rund 268 000 Er­werbs­per­so­nen, die haupt­be­ruf­lich «Kul­tur­schaf­fen­de» im brei­te­ren Sinne sind, hat das Bun­des­amt für Sta­tis­tik er­mit­telt. Dies ent­sprach 5,4 Pro­zent der Er­werbs­per­so­nen in der Schweiz. Die Kul­tur­schaf­fen­den sind zudem oft gut aus­ge­bil­det: 2022 hatte die Mehr­heit (60,9 Pro­zent) einen Hoch­schul­ab­schluss, ge­gen­über 42,5 Pro­zent bei allen Er­werbs­per­so­nen.


Und: 50,2 Pro­zent der Kul­tur­schaf­fen­den waren im Jahr 2022 Frau­en. Die Ge­halts­un­ter­schie­de zwi­schen den Ge­schlech­tern sind mar­kant. Im Kul­tur­sek­tor ver­dien­ten im Durch­schnitt im Jahr 2020 männ­li­che Kul­tur­schaf­fen­de 7458 Fran­ken, weib­li­che hin­ge­gen 6248 Fran­ken, also 16 Pro­zent we­ni­ger. Die­ser Ab­stand ist laut Bun­des­amt für Sta­tis­tik grös­ser als in der Ge­samt­wirt­schaft: dort lag der stan­dar­di­sier­te mo­nat­li­che Me­dian­brut­to­lohn 2020 bei 6963 Fran­ken für die Män­ner und 6211 Fran­ken für die Frau­en (–11 Pro­zent).

Will­kom­men im Pre­ka­ri­at

Die Ein­kom­mens­si­tua­ti­on ins­ge­samt ist eher mau. Suiss­e­cul­ture So­cia­le hat das 2020 ge­nau­er un­ter­sucht. Die Re­sul­ta­te waren er­nüch­ternd. Rund zwei Drit­tel ver­die­nen 40‘000 Fran­ken oder we­ni­ger. Zum Ver­gleich: Der Schwei­zer Durch­schnitts­lohn von An­ge­stell­ten in Voll­zeit be­trägt etwa dop­pelt so viel. Und: Die Stu­di­en leg­ten offen, dass die so­zi­a­le Ab­si­che­rung gros­se Lü­cken auf­weist.

Nun sind Sta­tis­ti­ken das Eine, über das sehr kon­kre­te Leben als Künst­ler:in sagen diese Durch­schnitt­szah­len oft aber eher wenig aus. Des­halb woll­ten wir wis­sen: Wie ist es so die­ses Leben als Künst­ler:in hier im Thur­gau?

Thur­gau Kul­tur be­glei­tet vier Künst­ler:innen über meh­re­re Mo­na­te

Mit einem Ex­pe­ri­ment su­chen sie in den nächs­ten Mo­na­ten die Ant­wort dar­auf. Vier Kul­tur­schaf­fen­de aus dem Kan­ton schrei­ben ab dem 15. Juni in der neuen Ko­lum­nen­rei­he „Mein Leben als Künst­ler:in“ ihre ganz per­sön­li­chen Sicht­wei­sen auf. Sie er­klä­ren, was sie be­schäf­tigt, wie sie ar­bei­ten und geben so auch einen Ein­blick in ihren All­tag und ein Le­bens­mo­dell, das wie kaum ein zwei­tes in Kli­schees ver­zerrt ist.


Mit dabei sind diese Künst­ler:innen:

Ute Klein (*1965), Ma­le­rin, stu­dier­te an der Uni­ver­si­tät Bern und der Ge­stal­tungs­schu­le M+F Lu­zern, Ar­tist in Re­si­dence im Künst­ler­schloss Plü­schow (D), Fun­da­zi­un Nairs (CH), Cité des Arts Paris (F) und Mel­bour­ne (AUS). Ausstel­lungs­be­tei­li­gun­gen unter an­de­rem im Mu­se­um Lang­matt Baden (2016), im Kunst­mu­se­um Thur­gau (1999, 2001,2013, 2018, 2020), in Kas­sel (2002, 2009), im Kuns­t­raum Vaduz (2011) und in der Kunst­hal­le Nairs in Scuol (2017); re­gel­mäs­si­ge Ein­zelausstel­lun­gen in den Ga­le­ri­en Adri­an Bleisch (Arbon) und Sylva Denz­ler (Zü­rich) und davor in der Ga­le­rie Schö­nen­ber­ger (Kirch­berg SG), meh­re­re För­der­prei­se und Kunst am Bau-Auf­trä­ge. Lebt und ar­bei­tet in Am­ris­wil.

Ute Klein. Bild: Michael Lünstroth


Fa­bi­an Zieg­ler (*1995)
, Per­kus­sio­nist aus Mat­zin­gen, ist wahr­schein­lich einer der am meis­ten rei­sen­den Mu­si­ker des Thur­gau. Tour­ne­en füh­ren ihn re­gel­mäs­sig nach Neu­see­land oder in die USA. Zieg­ler ab­sol­vier­te sei­nen Ba­che­lor of Arts und Mas­ter of Arts in Musik an der Zür­cher Hoch­schu­le. Im De­zem­ber 2017 ge­wann Fa­bi­an Zieg­ler zum zwei­ten Mal seit 2015 den Mi­gros Kul­tur­pro­zent-Stu­di­en­preis für seine aus­ser­ge­wöhn­li­che So­lo­auf­füh­rung wäh­rend des In­stru­men­tal­mu­sik­wett­be­werbs. Seit 2017 ist er aus­ser­dem Sti­pen­di­at der Friedl-Wald-Stif­tung und des Rahn Kul­tur­fonds. 2018 & 2020 ge­wann er den Kie­fer-Ha­blit­zel / Göh­ner Mu­sik­preis.

Fabian Ziegler. Bild: zVg



Thi My Lien Nguy­en (*1995), Fo­to­gra­fin, ist in Am­ris­wil auf­ge­wach­sen. Nach dem Vi­et­nam­krieg waren ihre Gros­s­el­tern ins ap­pen­zell-inn­err­ho­di­sche Dorf Stei­negg ge­flo­hen. Sie hat als Foto- und Vi­deo­gra­fin für die Thur­gau­er Zei­tung und die NZZ ge­ar­bei­tet. In Lu­zern hat sie zu­nächst „Ca­me­ra Arts“ und spä­ter „Vi­su­al Sto­ry­tel­ling“ stu­diert. Heute ar­bei­tet sie als frei­schaf­fen­de Foto- und Vi­deo­gra­fin. Ihr Kunst­an­satz reicht weit: Sie will Dis­kurs schaf­fen und An­re­gun­gen geben - über das klas­si­sche kuns­t­in­ter­es­sier­te Pu­bli­kum hin­aus. Auch des­halb hat sie den «Mi­li’s Sup­per­club» ge­grün­det. Dort kocht sie für ihr be­kann­te und un­be­kann­te Men­schen und bringt sie mit­ein­an­der ins Ge­spräch.

Thi My Lien Nguyen. Bild: János Stefan Buchwardt


Tabea Stei­ner (*1981)
, Au­to­rin, stu­dier­te Ger­ma­nis­tik und alte Ge­schich­te. Sie ist auf einem Bau­ern­hof in der Ost­schweiz auf­ge­wach­sen, lebt heute in Zü­rich und ist Mit­glied der Au­to­rin­nen­grup­pe RAUF. Ihr ers­ter Roman "Balg" er­schien im Früh­jahr 2019 in der Edi­ti­on Bü­cher­le­se und wurde für den Schwei­zer Buch­preis no­mi­niert. 2022 er­schien „Pro­vin­ces", eine Aus­wahl ihrer Es­says in eng­li­scher Über­set­zung bei Stran­gers Press. Im Fe­bru­ar 2023 er­schien ihr zwei­ter Roman "Immer zwei und zwei". Stei­ner un­ter­rich­tet am De­par­te­ment Kunst & De­sign der Hoch­schu­le Lu­zern li­te­ra­ri­sches Schrei­ben im Stu­dien­gang Il­lus­tra­ti­on fic­tion.

Tabea Steiner. Bild: Archiv ThurgauKultur


Autor:innen kön­nen sich auf­ein­an­der be­zie­hen, müs­sen es aber nicht

Diese vier Künst­le­rin­nen und Künst­ler schrei­ben bis Ende Ok­to­ber 23 re­gel­mäs­sig und ab­wech­selnd ihre Ko­lum­nen für die neue Serie. Sie er­scheint ab dem 15. Juni immer don­ners­tags. Die Vor­ga­ben, die aus der Re­dak­ti­on ge­macht wur­den, waren mi­ni­mal. In Thema, Stil, Dar­stel­lungs­form, To­na­li­tät und Me­di­a­li­tät sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen kön­nen sich auf­ein­an­der be­zie­hen, müs­sen es aber nicht.

Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Din­gen, die die Künst­ler:innen be­schäf­ti­gen, wie den Be­din­gun­gen des Kul­tur­be­triebs oder auch mit dem Kul­tur­le­ben im Thur­gau oder was auch immer, ist ge­nau­so mög­lich wie eine Schil­de­rung des All­tags. Ziel der Serie ist es, ein mög­lichst re­a­lis­ti­sches Bild der ver­schie­de­nen Künst­ler:innen-Leben zu be­kom­men. Mit allen Schat­tie­run­gen, die so ein Leben eben hat.

Re­a­li­tät vs. Kli­schee

Ide­a­le­r­wei­se ent­steht so ein Netz aus Be­zü­gen - in­ter­dis­zi­pli­när und um­span­nend. Mit der Serie „Mein Leben als Künst­ler:in“ wol­len wir den vie­len Kli­schees, die es über Künst­ler:innen-Leben gibt, ein re­a­lis­ti­sches Bild ent­ge­gen­set­zen. Das soll den Leser:innen Ein­bli­cke geben in den All­tag der Kul­tur­schaf­fen­den und gleich­zei­tig Ver­ständ­nis dafür schaf­fen, wie viel Ar­beit in einem künst­le­ri­schen Pro­zess steckt.

Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Hand­werk und Liebe in Kunst­wer­ken steckt, kann die Ar­beit von Künst­ler:innen wirk­lich wert­schät­zen. So soll auch der Wert künst­le­ri­scher Ar­beit für die Ge­sell­schaft trans­pa­ren­ter ge­macht wer­den. Neben die­sem auf­klä­re­ri­schen An­satz ist die Serie aber auch ein Kul­tur­ver­mitt­lungs-Pro­jekt, weil sie bei­spiel­haft zeigt, unter wel­chen Be­din­gun­gen Kunst und Kul­tur heute ent­ste­hen.

Ziel: Di­a­log soll ent­ste­hen

Was sich thur­gau­kul­tur.ch und wir als Kol­la­bo­ra­ti­ons­part­ne­rin mit der Serie auch er­hof­fen ist, dass ein neuer Di­a­log der Kul­tur­schaf­fen­den un­ter­ein­an­der ent­steht, aber nicht nur. Es soll auch ein Aus­tausch mit dem Pu­bli­kum, also Euch, den Leser:innen, statt­fin­den.

Das geht über un­se­re So­ci­al-Media-Ka­nä­le, in denen wir di­rekt mit­ein­an­der dis­ku­tie­ren kön­nen oder in der Kom­men­tar­spal­te zu den ein­zel­nen Bei­trä­gen auf un­se­rer Web­si­te. Wenn du kon­kre­te Fra­gen an die teil­neh­men­den Künst­ler:innen hast, wenn dich ein The­men­feld be­son­ders in­ter­es­siert, dann kannst du uns di­rekt unter in­fo@ig-kul­tur-ost.ch schrei­ben oder an mi­cha­el.lu­enstro­th@thur­gau­kul­tur.ch


Wir sind ge­spannt auf alles, was kommt. Viel Ver­gnü­gen bei der Lek­tü­re! Los geht es mit einem ers­ten Bei­trag von Ute Klein!

«Meine Bilder wachsen langsam». Ute Klein über die Vorzüge der Malerei, Blockaden bei der Arbeit und warum sie sich selbst nicht als Künstlerin betrachtet.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

Schrei­ben ist nicht mein Me­ti­er, ich bin Ma­le­rin: ich ar­bei­te meist mit Fa­r­ben, For­men, mit Tex­tu­ren und Schich­ten auf Lein­wand oder im Raum.Schrei­ben ist für mich ein Zwi­schen­schritt zum Ord­nen mei­ner Ge­dan­ken und ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel. Selt­sa­mer als mich mit Wor­ten statt Fa­r­ben aus­zu­drü­cken, finde ich die Auf­ga­be: 'Mein Leben als Künst­le­rin'. Habe ich denn ein Leben 'als Künst­le­rin' und eines 'als Mut­ter', und eines 'als ums Klima be­sorg­te Bür­ge­rin', eines 'als Kunst und Dis­kurs in­ter­es­sier­te Fe­mi­nis­tin' und eines 'als Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en­zah­le­rin'?

Ute Klein. Bild: Michael Lünstroth

«Man­che Bil­der kippe ich über ein Jahr hin und her.» Die Künst­le­rin Ute Klein in ihrer Ausstel­lung im Kunst­ver­ein Frau­en­feld. | © Mi­cha­el Lün­stroth

Ich bin wie ein Eis­berg

Für mich ge­hört alles zu­sam­men. Na­tür­lich habe ich ver­schie­de­ne Sei­ten, aber die schau­spie­le­re oder jobbe ich nicht 'als', son­dern BIN alles zu­sam­men mit­samt den Wech­sel­wir­kun­gen. Wie ein Eis­berg, der auch nicht als sicht­ba­rer Teil und als un­sicht­ba­rer Teil exis­tiert, son­dern im Meer treibt (und schmilzt).

Ich nenne mich Ma­le­rin nicht Künst­le­rin, da Ma­le­rei mein Hand­lungs­aus­gangs­punkt ist und in der Ma­le­rei die Gleich­zei­tig­keit sehr wich­tig ist. Gleich­zei­tig­keit und freie, nicht ge­lenk­te Be­trach­tung sind etwas Ma­lereis­pe­zi­fi­sches. Im Ge­gen­satz zu Musik, Film, Li­te­ra­tur oder The­a­ter darf beim Schau­en eines Bil­des jeder an­fan­gen, wo er möch­te, darf ver­wei­len oder mit den Augen wei­ter­wan­dern, Um­we­ge ma­chen, De­tails fo­kus­sie­ren, das Bild im Ver­hält­nis zum Raum sehen oder alles gleich­zei­tig.

‚beyon­d‘, 2022, Acryl und Öl auf Lein­wand, 200 x 240 cm, Ausstel­lungs­an­sicht .’u­ni­ting’, Kunst­ver­ein Frau­en­feld, 2023. Bild: Eva Rugel

Wie ver­schie­de­ne Schich­ten ein Bild ver­än­dern

Meine Bil­der sind viel­schich­tig. Die ers­ten Schich­ten sind manch­mal kaum mehr sicht­bar, aber sie ge­stal­ten mit, ver­än­dern den Lauf, die Form und das Aus­se­hen der Fa­r­ben, die viel spä­ter dar­über flies­sen. Manch­mal wer­den diese un­ters­ten Schich­ten durch das Ver­de­cken in­ter­es­san­ter. Über­de­cke ich einen blau­en Fleck teil­wei­se mit Gelb, wird die über­la­ger­te Form grün. Ich kann nun die blaue, gelbe und grüne Form ne­ben­ein­an­der sehen oder das Zu­stan­de­kom­men oder bei­des. Der Pro­zess des Ma­lens ist nach­voll­zieh­bar, aber eben­so gut kann man sich in das fer­ti­ge Bild ver­tie­fen.

Das kann so­fort pas­sie­ren oder zeit­lich weit aus­ein­an­der oder zwi­schen den Wahr­neh­mun­gen wech­selnd. Alles rich­tig und doch ganz un­ter­schied­lich.

Fa­r­ben for­men Er­in­ne­run­gen

Die Fa­rb­zu­sam­men­stel­lung oder die For­men kön­nen Er­in­ne­run­gen we­cken, zum Bei­spiel an Land­schaf­ten oder Wäl­der oder an Stim­mun­gen.

Die auf­tau­chen­den, in­di­vi­du­el­len Er­in­ne­run­gen sind dann da, jetzt, zwar nur im Kopf der be­trach­ten­den Per­son, aber sie kön­nen viel­leicht ihren Tag ver­än­dern, plötz­lich in an­de­res Licht tau­chen. Zeit­lich längst Ver­gan­ge­nes oder weit Ent­fern­tes ist plötz­lich im Raum, ak­tu­ell am Mit­mi­schen. Mich in­ter­es­sie­ren diese unter- oder hin­ter­grün­di­gen, an­de­ren Ver­bin­dun­gen un­se­res Wahr­neh­mens, mir schei­nen sie sehr wirk­sam.

Ute Klein, Kunst­ver­ein Frau­en­feld uni­ting 2023, Bil­der: Mi­cha­el Lün­stroth

Die Gleich­zei­tig­keit der Dinge

Gleich­zei­tig­keit be­stimmt mich auch im All­tag. Vie­les sehe und fühle ich in Zu­sam­men­hän­gen, die an­de­re klar tren­nen. Manch­mal ist das hin­der­lich, manch­mal för­der­lich. Wenn sich viel Schwie­ri­ges ver­mischt und ge­gen­sei­tig un­güns­tig be­ein­flusst, muss ich mich be­wusst etwas an­de­rem zu­wen­den: wenn beim Malen zu viele Fa­r­ben zu­sam­men­flies­sen, leuch­tet nichts mehr, es gibt einen grau­sam grau­en Schlamm.

An­de­rer­seits kön­nen wir eine Farbe al­lein gar nicht wirk­lich er­ken­nen, Farbe neh­men wir immer im Ver­hält­nis zu einer an­de­ren wahr.

Was mich bei der Ar­beit blo­ckiert

Ich kann nicht malen, wenn ich den Tod mei­ner Hün­din noch nicht ver­wun­den habe.

Meine Hün­din hat mich und meine Fa­mi­lie die letz­ten zehn Jahre be­glei­tet. Sie war kaum an Ver­nis­sa­gen oder Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen dabei, dafür im All­tag, rund um die Uhr, jahr­ein jahr­aus. Sie hat mein Leben die letz­ten Jahre stark mit­ge­prägt.

Meine Bil­der wach­sen lang­sam, Rou­ti­ne, ge­lern­ter Um­gang (Kön­nen) und Aus­dau­er ei­ner­seits und volle wache Auf­merk­sam­keit auf das mo­men­ta­ne Ge­sche­hen an­de­rer­seits sind wich­ti­ge Kom­po­nen­ten bei mei­nem Malen wie im Um­gang mit Hun­den.

‚un­ter­wegs‘, 2022, Acryl und Öl auf Lein­wand, 110 x 240 cm, Ausstel­lungs­an­sicht .’u­ni­ting’, Kunst­ver­ein Frau­en­feld, 2023. Bild: Eva Rugel

Warum Be­we­gung gegen Blo­cka­den hilft

Lau­fen bringt mein Den­ken in Gang, die Not­wen­dig­keit bei jedem Wet­ter und mit­ten im Aus­brü­ten von einer Wett­be­w­erb­s­ein­ga­be mit ihr spa­zie­ren zu gehen, war oft hilf­reich.

Ihr Ver­hal­ten zu lesen hat mir neue Spra­chen er­öff­net und ihr Um­gang mit un­freund­li­chen Hun­den hat mich immer wie­der ver­blüfft: Wie sie Streit aus dem Weg ging, wie sie Ag­gres­si­ve be­schwich­tig­te in dem sie sich an­fäng­lich klein mach­te, und sie dann doch zum Spiel auf­for­der­te, auch wie sie den Un­ter­schied zwi­schen wirk­lich Ge­fähr­li­chen und Um­stimm­ba­ren er­kann­te (roch?), wie sie zu Un­ge­stü­men mit einem ein­zi­gen tie­fen Laut Ein­halt gebot: be­wun­derns­wert! Und wie viele Men­schen sie mit ihrem freund­li­chen Wesen er­freu­te: phä­no­me­nal!

Freund­lich­keit öff­net Räume

Sol­ches Kön­nen im Um­gang mit Art­ge­nos­sen und un­se­rer Um­welt wün­sche ich mir. Freund­lich­keit er­öff­net neue Zu­gän­ge und ein an­de­res Zu­sam­men­le­ben, nicht um über alle Pro­ble­me hin­weg­zu­lä­cheln, son­dern um sie an­zu­ge­hen und Lö­sun­gen zu fin­den.

Freund­lich­keit wie Fa­r­big­keit wer­den oft als ein­fach oder kind­lich an­ge­se­hen, mir scheint echte Freund­lich­keit wie stim­mi­ge Fa­r­big­keit enorm wich­tig und alles an­de­re als sim­pel.

Ute Klein, Ma­le­rin
Thur­gau­Kul­tur

«80-Stunden-Arbeitswochen sind normal». Fabian Ziegler antwortet auf die zwei meist gestellten Fragen an ihn: Wie wird man Musiker? Und was machen Sie sonst so?

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

Ich freue mich sehr, zu­sam­men mit vie­len, tol­len Thur­gau­er Künst­le­rin­nen und Künst­lerndie Ko­lum­nen-Reihe bei thur­gau­kul­tur.ch zu ge­stal­ten. Aus mei­ner Sicht soll sie dazu die­nen, den Men­schen – un­se­rem Pu­bli­kum – einen bes­se­ren Ein­blick in das Leben eines Künst­lers zu geben. 

Wie das auch Ute Klein be­reits in der letz­ten Ko­lum­ne sagte, ist es wohl nicht mög­lich das Leben als Pri­vat­per­son und Künst­le­rIn zu tren­nen – und das soll es auch nicht.

In mei­ner ers­ten Ko­lum­ne die­ser Reihe möch­te ich mich mit den zwei an mich am häu­figs­ten ge­stell­ten Fra­gen be­fas­sen. Die Fra­gen ba­sie­ren auf vie­len ver­schie­de­nen Ge­sprä­chen bei mei­nen Kon­zer­ten. Diese zeig­ten mir, dass das Ver­ständ­nis für den Beruf des Mu­si­kers noch nicht voll­ends vor­han­den ist und von vie­len Kon­zert­be­su­che­rin­nen und Kon­zert­be­su­chern un­ter­schätzt wird.

So­und­check und Vor­be­rei­tung: Fa­bi­an Zieg­ler vor sei­nem Auf­tritt auf der welt­gröss­ten Messe für Per­kus­sio­nist:innen in In­di­a­naplois im No­vem­ber 2022. | © Alex­an­der Ponet

Musik, das kann man stu­die­ren?

Der Weg eines Mu­si­kers, einer Mu­si­ke­rin, ist lang und be­nö­tigt viel Aus­dau­er. An­ge­fan­gen mit dem Er­ler­nen eines In­stru­men­tes im Kin­des­al­ter, ver­such­te ich mich be­reits in jun­gen Jah­ren immer ste­tig zu ver­bes­sern. Ein wich­ti­ger Bei­trag in die­sem Pro­zess waren für mich auch die ver­schie­de­nen Bla­s­or­ches­ter, in denen ich mu­si­ka­li­sche Er­fah­run­gen sam­meln durf­te. Nach einem län­ge­ren Rei­fe­pro­zess stell­te ich mir die Frage, ob ich mir den Beruf des Mu­si­kers, in mei­nem Fall Per­cus­sio­nist re­spek­ti­ve klas­si­scher Schlag­zeu­ger, vor­stel­len kann. Aus Über­zeu­gung konn­te ich die Frage mit JA be­ant­wor­ten und die Lauf­bahn als pro­fes­si­o­nel­ler Mu­si­ker ein­schla­gen. 

Nach be­stan­de­ner Auf­nah­me­prü­fung an einer Hoch­schu­le, in mei­nem Fall die Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te, ab­sol­viert man ein 3-jäh­ri­ges Grund-Stu­di­um mit einem Ab­schluss (Ba­che­lor of Arts  in Music). An­sch­lies­send ste­hen ver­schie­dens­te Rich­tun­gen für wei­ter­füh­ren­de Stu­di­en zur Aus­wahl. 

Halo - III. An­ge­lus - John Psa­thas (*1966)


Die Aus­bil­dungs­zeit: 7 Jahre Stu­di­um

Da ich mich für die Ar­beit als So­list in­ter­es­sier­te, ab­sol­vier­te ich ein zwei­jäh­ri­ges Stu­di­um zum Mas­ter in Spe­cia­li­zed Music Per­for­mance – So­list, und an­sch­lies­send noch eine 2-jäh­ri­ge Aus­bil­dung mit Mas­ter­ab­schluss (Mas­ter in Music Pe­d­ago­gy), um spä­ter auch die Mög­lich­keit zu haben an einer Mu­sik­schu­le oder einer Hoch­schu­le un­ter­rich­ten zu kön­nen.

Die Ant­wort auf die ein­gangs ge­stell­te Frage lau­tet: Ja, Musik kann man stu­die­ren. In mei­nem Fall ge­noss ich eine 7-jäh­ri­ge Stu­di­en­zeit an der Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te mit wun­der­vol­len Pro­fes­so­ren die mich för­der­ten aber auch for­der­ten. 

Und was ar­bei­ten Sie neben der Musik?

Die zweithäu­figs­te Frage die ich mit Aus­sen­ste­hen­den dis­ku­tie­ren durf­te war die Frage: Und was ar­bei­ten Sie neben der Musik? Diese Frage ist sehr ein­fach zu er­klä­ren. Als selb­stän­di­ger Mu­si­ker bin ich nicht nur Mu­si­ker. Ich bin gleich­zei­tig mein  Ma­na­ger, Ver­kaufs­chef, Or­ga­ni­sa­tor, zu­stän­dig für So­ci­al Media, ver­ant­wort­lich für die Ak­qui­se von Auf­trä­gen, und vie­les mehr. Kurz ge­sagt eine ganze Firma in einer Per­son. 

Das Kon­zert ist nur die Spit­ze des Eis­bergs

Um meine Fä­hig­kei­ten per­ma­nent auf kon­stant hohem Ni­veau zu hal­ten und mich auch ste­tig zu ver­bes­sern, übe ich täg­lich meh­re­re Stun­den in mei­nem Übungs­raum oder probe mit Or­ches­tern und En­sem­bles neben mei­ner Kon­zert­tä­tig­keit. 

Die Ar­beit als Mu­si­ker be­in­hal­tet also noch sehr viel mehr, als die 1,5 Stun­den Kon­zert­dau­er, bei dem wir un­se­rem Pu­bli­kum un­se­re Musik prä­sen­tie­ren. Das Kon­zert ist, wie es so schön heisst, nur die Spit­ze des Eis­ber­ges.

«Wir sind Spit­zen­sport­ler in un­se­rem ei­ge­nen Fach­ge­biet der Musik.»

Fa­bi­an Zieg­ler, Schlag­zeu­ger

Wie auch an­de­re selb­stän­di­ge Er­werbs­tä­ti­ge be­glei­tet mich mein Beruf über­all hin. Jede Zug­fahrt, jede Au­to­fahrt, viele Un­ter­hal­tun­gen mit Freun­den und Fa­mi­lie – oft ist das Thema Musik all­ge­gen­wär­tig und ich denke über neue Pro­jek­te, die wei­te­re Pla­nung oder Ideen nach. 

Grund­sätz­lich ge­hört eine 70 bis 80 Stun­den-Ar­beits­wo­che zu mei­nem Leben – Er­ho­lung und Ur­laub müs­sen de­fi­ni­tiv in ein sol­ches Leben ein­ge­plant wer­den, denn da un­ter­schei­den wir uns nicht vom Sport. Wir sind Spit­zen­sport­ler in un­se­rem ei­ge­nen Fach­ge­biet der Musik.

Fa­bi­an Zieg­ler, Mu­si­ker
Thur­gau­Kul­tur

«Das Leuchten des Algorithmus». Wie man Texte findet oder: Wie Texte einen finden. Die Autorin Tabea Steiner über Recherche und Themenfindung in der Literatur.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

Was Glüh­würm­chen und Autor:innen ge­mein­sam haben: Dar­über schreibt die Au­to­rin Tabea Stei­ner in der Serie "Mein Leben als Künst­ler:in"

Ute Klein hat im ers­ten Text die­ser Reihe be­schrie­ben, wie für sie alles zu­sam­men­ge­hört und sich mit­ein­an­der ver­knäu­elt: das Künst­le­rin-Sein, das ums-Klima-be­sorg­te Bür­ge­rin-Sein, das Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en­zah­le­rin-Sein. Als ich das ge­le­sen hatte, muss­te ich an mei­nen Al­go­rith­mus den­ken.

Das An­ge­bot mei­nes Al­go­rith­mus bringt alles Mög­li­che und Un­mög­li­che zu­sam­men: Würs­te und Bü­ro­stüh­le, einen Wun­der­baum fürs Auto, Arm­band­uh­ren und na­tür­lich Bü­cher, aber die falschen.

Das muss daran lie­gen, dass mich alles in­ter­es­siert, was mir im All­tag, in der Li­te­ra­tur, in der Stadt be­geg­net.

Und ich stän­dig im In­ter­net nach ir­gend­wel­chen Wör­tern, Phä­no­me­nen oder Er­eig­nis­sen suche, von denen ich ir­gend­wo ge­hört habe. Etwa, dass der Wald­rapp nach vier­hun­dert Jah­ren wie­der in der Schweiz brü­tet, und zwar auf dem Fens­ter­sims einer Ha­r­ley-Da­vid­son-Ga­ra­ge in Rüm­lang.

«Ich bin immer auf der Suche nach Tex­ti­de­en, in der Hoff­nung, zwi­schen all dem an­ge­sam­mel­ten Ma­te­ri­al Be­zü­ge und Ver­bin­dun­gen zu sehen, die mir neu sind.»

Tabea Stei­ner, Au­to­rin (Bild: Dirk Skiba)

Ich bin immer auf der Suche nach Tex­ti­de­en, in der Hoff­nung, zwi­schen all dem an­ge­sam­mel­ten Ma­te­ri­al Be­zü­ge und Ver­bin­dun­gen zu sehen, die mir neu sind. Bei­spiels­wei­se treibt mich ak­tu­ell der Ge­dan­ke um, dass Honig etwas mit Ma­the­ma­tik zu tun haben könn­te, dass es Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen einer der äl­tes­ten Süs­sig­kei­ten und einer der äl­tes­ten wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen gibt.


Stun­den­lan­ge Re­cher­chen bis mir schwin­de­lig wird

Mit sol­chen Ideen ver­sen­ke ich mich in stun­den­lan­ge Re­cher­chen, be­stel­le Bü­cher, schaue Do­ku­men­ta­ti­o­nen an, spei­che­re Ar­ti­kel ab, höre Pod­casts, so lange, bis es nicht nur mir, son­dern auch dem Al­go­rith­mus schwin­de­lig wird.  

Nach sol­chen In­ter­ne­tes­ka­pa­den gehe ich am liebs­ten in die Natur, in den Wald, um mich zu be­ru­hi­gen, am bes­ten ohne Te­le­fon. Aber kaum bin ich im Wald, flitzt da eine klei­ne Maus davon, trip­pelt dort ein Käfer über den Pfad, singt ein Vogel, huscht ein Eich­hörn­chen einen Stamm hin­auf. Ein­mal sah ich am hell­lich­ten Tag, wie eine Ricke ihr Kitz ge­säugt hat, und ein an­de­res Mal sind mir in der Däm­me­rung drei Dach­se be­geg­net. 


Ler­nen von den Glüh­würm­chen

Manch­mal gehe ich mit einer Freun­din in den Wald. Wir spre­chen über Bü­cher und Gott und die Welt, bis es ein­nach­tet. An einem die­ser Aben­de schau­ten uns auf dem Nach­hau­se­weg plötz­lich hun­der­te Augen aus dem Dun­kel an. Es waren Glüh­würm­chen.

Zu­hau­se be­gann ich so­fort zu lesen, lern­te, dass Glüh­würm­chen immer zur glei­chen Zeit im Jahr leuch­ten, und immer an den glei­chen Stel­len, dass sie zwei Le­bens­jah­re als Larve ver­brin­gen und sich dabei von Schne­cken er­näh­ren, die sie mit Gift­bis­sen töten und in­ner­halb eines ein­zi­gen Tages ganz auf­fres­sen, mit­samt Häus­chen. Erst ganz am Ende sei­nes Le­bens schlüpft das Glüh­würm­chen und tanzt sei­nen stil­len Licht­rei­gen.

Meine Freun­din und ich schick­ten uns Links und Bil­der hin und her. Schon ver­rückt, schrieb sie, die Vor­stel­lung, sein ei­ge­nes Licht zu ma­chen.

Der fer­ti­ge Text macht nur einen Teil der Ar­beit sicht­bar

Im zwei­ten Text die­ser Reihe schreibt Fa­bi­an Zieg­ler, dass ein Kon­zert nur die Spit­ze des Eis­bergs vom ei­gent­li­chen Mu­sik­schaf­fen ist. Auch in einem Text ist immer nur ein klei­ner An­teil des­sen sicht­bar, was sich durch die Re­cher­che, durch Ge­sprä­che mit Freun­din­nen, Er­leb­nis­se des All­tags und Nach­rich­ten aus aller Welt an­ge­sam­melt hat. 

Und auch die Glüh­würm­chen­la­r­ve über­frisst sich an so man­cher Schne­cke, um letzt­lich nur ein paar we­ni­ge Stun­den lang zu leuch­ten. 

Tabea Stei­ner, Au­to­rin
Thur­gau­Kul­tur

«Ideen fallen nicht vom Himmel». Die Fotografin Thi My Lien Nguyen über 50 shades of Arbeit oder wie Künstler:innen eigentlich Ideen schöpfen.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

«Fo­to­gra­fin und Künst­le­rin.» So nenne ich mich, so stel­le ich mich vor. Diese Un­ter­schei­dung ist be­wusst und ge­wollt. Meine Haupt­tä­tig­kei­ten sind mehr oder we­ni­ger damit ab­ge­deckt. Zudem kann mein Ge­ge­nü­ber sich ein gro­bes Bild ma­chen, was ich den gan­zen Tag lang so mache. Oder doch nicht?

Wie auch Fa­bi­an be­reits vor mir be­schrie­ben hat, tra­gen wir als Kul­tur­schaf­fen­de viele Hüte gleich­zei­tig. Nebst der künst­le­ri­schen Ar­beit sind wir gleich­zei­tig un­se­re Ma­na­ger:innen, Or­ga­ni­sa­tor:innen, So­ci­al Media/Kom­mu­ni­ka­ti­on-Zu­stän­di­ge, Net­wor­ker:in­nen… (die Liste ist lang!) 

Und auch wie Ute, bin ich der Mei­nung, dass wir so viel mehr sind als „nur” unser Beruf als Künst­ler:innen.

Thi My Lien Nguyen. Foto: ©Joel Hunn

Wir sind mehr als un­se­re Kunst

Wir sind Per­so­nen einer Ge­sell­schaft, Teil von Fa­mi­li­en, Freun­des­krei­sen und wei­te­ren Ge­mein­schaf­ten. Wir sind In­di­vi­du­en – nebst der künst­le­ri­schen Iden­ti­tät. Wir steu­ern zu einem ge­mein­sa­men Leben bei und set­zen uns für Dinge und Werte ein, die uns wich­tig sind. 

Wie bei den meis­ten Men­schen kön­nen auch wir erst dann rich­tig bril­lie­ren, wenn un­se­re Grund­be­dürf­nis­se ge­deckt sind und un­se­re Rah­men­be­din­gun­gen stim­men. Nur wenn eine ge­wis­se Ba­lan­ce so­wohl in uns selbst als auch um uns herum herrscht, kön­nen wir un­se­re volle künst­le­ri­sche Po­tenz ent­fal­ten. Und wie diese Ba­lan­ce genau er­reicht wird, ist bei allen Kul­tur­schaf­fen­den in­di­vi­du­ell.

Ich brau­che Ba­lan­ce in mei­ner Ar­beit

In mei­ner Pra­xis ver­su­che ich, eine für mich stim­mi­ge Ba­lan­ce zu fin­den und zu ma­ni­fes­tie­ren. Meine Pro­jek­te rei­chen vom Me­di­um der Fo­to­gra­fie zum Be­wegt­bild, von Din­ner­par­ties bis hin zu Work­shops kon­zi­pie­ren und lei­ten – das Thema, die Fra­gen und der Kon­text sind meine An­trei­ber. Wel­ches Me­di­um ich schliess­lich wähle oder in wel­cher Form es prä­sen­tiert wird, hängt stark von der Es­senz des Pro­jekts ab.

In mei­ner künst­le­ri­schen Pra­xis ver­su­che ich, ein aus­ge­wo­ge­nes Ver­hält­nis zwi­schen der Ar­beit am Kon­zept, der ei­gent­li­chen „hand­werk­li­chen" Ar­beit und nicht zu­letzt, was mir sehr am Her­zen liegt, meine Ar­tist Dates (oder auch „A­r­beit-wo-ich-mein-in­ne­res-Kind-pfle­ge” ge­nannt) zu fin­den. Nicht zu ver­ges­sen ist da na­tür­lich auch noch die „Ich-brau­che-re­gel­mäs­sig-Geld-um-in-die­ser-Welt-zu-ü­ber­le­ben-Ar­beit". (Von dort kommt auch meine Un­ter­schei­dung zwi­schen den La­bels der „Fo­to­gra­fin” und der „Künst­le­rin”. Aber dazu er­zäh­le ich gerne ein ander Mal mehr.)

Collage eines Künstlerinnenlebens. Bild: Thi My Lien Nguyen


Nichts kommt aus dem Nichts

Ich glau­be nicht an den My­thos, dass Kre­a­ti­ve mit Ideen „wie vom Blitz ge­trof­fen" wer­den oder dass Ideen vom Him­mel fal­len. Ich bin mir si­cher, viele ken­nen diese Mo­men­te. Beim Du­schen, beim Sport oder beim Ko­chen. Da kön­nen einem bril­lan­te Ideen oder die Lö­sun­gen für die nächs­te Sache zu Sin­nen kom­men. Kam die wirk­lich aus dem „Nichts” und „ein­fach so”? Ich denke nicht.

Unser Ver­stand ar­bei­tet manch­mal für uns auf ge­heim­nis­vol­le Weise und ich bin ü­ber­zeugt, dass unser (Unter-)Be­wusst­sein viel mehr rat­tert, als uns wirk­lich be­wusst ist: Wenn wir also un­se­ren Ver­stand und un­se­re Her­zen mit Din­gen und Sich­ten fül­len, die uns Freu­de be­rei­ten, uns in­spi­rie­ren oder sogar in Er­stau­nen ver­set­zen, kann das ein Weg sein, un­se­re in­ne­re Kre­a­ti­vi­täts­quel­le auf­zu­fül­len. So, wie auch Tabea das An­ge­bot ihres Al­go­rith­mus be­schreibt.

Manch­mal be­ob­ach­te ich, um neue Ideen zu fin­den

Es gibt Zei­ten, da be­su­che ich bei­spiels­wei­se ab­sicht­lich span­nen­de (Le­bens­mit­tel-)Ge­schäf­te oder Se­cond-Hand-Läden. Manch­mal sitze ich im Park oder in der Stadt, um zu schau­en und zu be­ob­ach­ten. Wer macht was, wie und wes­halb? Wel­che Ge­schich­ten spie­len sich im öf­fent­li­chen Leben ab und was trage ich dazu bei? Nach die­sen Ab­ste­chern fühle ich mich immer sehr in­spi­riert und ener­gie­ge­la­den.

Für mich haben diese Mo­men­te und Er­fah­run­gen einen gros­sen Ein­fluss auf mich und meine Ar­beit, und ich ver­su­che mein Bes­tes, min­des­tens einen hal­b­en Tag pro Woche nur da­für zu re­ser­vie­ren. („Künst­ler:innen und deren Zeit­ma­na­ge­ment” wäre eben­falls ein span­nen­des Thema!) 


Ohne Ak­ti­vi­tät keine Kre­a­ti­vi­tät

Denn Ideen für neue Pro­jek­te kom­men nicht ein­fach so aus dem Nichts und zu­fäl­li­ger­wei­se, son­dern be­nö­ti­gen Raum und Zeit um zu ge­dei­hen, aber vor allem be­nö­ti­gen sie eine ak­ti­ve Hand­lung des Säens, bevor das Ge­dei­hen ü­ber­haupt erst statt­fin­den kann.

Thi My Lien Nguy­en, Fo­to­gra­fin und Künst­le­rin
Thur­gau­Kul­tur

«Erfolg ist ein Zusammenspiel von vielen und vielem.» Die Malerin Ute Klein über Kollaborationen und was es braucht, um Künstler:in zu werden.

(Le­se­dau­er: ca. 3 Mi­nu­ten)

Ar­bei­te ich al­lein oder in Kol­la­bo­ra­ti­o­nen? Die Ant­wort hängt davon ab, was als mein Ar­bei­ten an­ge­se­hen wird und was man unter Zu­sam­me­n­a­r­beit ver­steht.

Wo be­ginnt das Malen? Mit der Idee, der Geld­be­schaf­fung, der Ma­te­ri­a­l­wahl oder wenn ich Fa­r­ben mi­sche?

Wo endet das Malen? Das ist bei jedem Bild eine neue, gros­se Frage, aber mich in­ter­es­siert auch, was da­nach drum­rum pas­siert: wie ver­än­dert sich die Les­bar­keit des Bil­des durch Kom­bi­na­ti­o­nen mit an­de­ren Wer­ken, Text oder Musik, wel­che Wech­sel­wir­kun­gen fin­den mit dem Raum statt, was be­wirkt ein neuer Dis­kurs? Was ist pas­siert, dass ein Bild zehn Jahre nach­dem ich es das erste Mal ge­zeigt habe, plötz­lich lau­ter po­si­ti­ve Rü­ck­mel­dun­gen ge­ne­riert, teil­wei­se von Men­schen, die es da­mals und da­zwi­schen auch sahen?

Überschreitungen der Grenzen des Einzelnen: ‚uniting‘, Installation aus Lithografieausschnitten, Kunstverein Frauenfeld, 2023 | © Eva Rugel


«Austausch ist dann spannend, wenn Substanz und Eigenheit da sind, wenn sich Resonanz ereignet.» Ute Klein, Malerin

Endet meine Ar­beit mit mei­nem Tod?

Zu­sam­men ge­schaf­fe­ne und si­gnier­te Werke sind kol­la­bo­ra­tiv ent­stan­den.

Ist eine ge­mein­sa­me Ausstel­lung auch eine Kol­la­bo­ra­ti­on?

Beim Li­tho­gra­fen Thomi Wolfens­ber­ger zu dru­cken ist höchst an­re­gend ge­ra­de auch wegen der engen Zu­sam­me­n­a­r­beit im Ar­beits­pro­zess und doch si­gnie­re ich.


Zwi­schen Al­lein­sein und Aus­tausch

Was ist mit geis­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zung?

Ar­bei­te ich al­lein, wenn ich mich an einer Ver­nis­sa­ge al­lein fühle?

Ar­bei­te ich al­lein, wenn ich al­lein im Ate­li­er male, aber mich über­haupt nicht al­lein fühle? Son­dern mit­ten in den Bil­dern bin, den ent­ste­hen­den, er­in­ner­ten und mög­li­chen Bil­dern, in den Fa­rb­flä­chen und -net­zen nach Wegen und Raum suche, nach einem Klang oder nach Be­we­gun­gen und über­le­ge, wo die nächs­ten Kip­pun­gen nötig sind. Beim Kip­pen ar­bei­te ich mit der Farbe, den Ver­dün­nungs­mit­teln, den Mög­lich­kei­ten des Bild­trä­gers, dem Flies­sen und ar­bei­te mit dem Zu­fall. 

(My Lien hat be­reits er­wähnt, dass Zu­fall nicht nur zu­fäl­lig ist, son­dern man auf ihn zu ar­bei­ten kann: Der Zu­fall be­vor­zugt den vor­be­rei­te­ten Geist)

Wenn ich mich am Com­pu­ter mit der Suche nach dem ak­tu­ell bes­ten Weg für einen Ver­sand ab­mü­he, weil ir­gend­ein Up­date das bis­he­ri­ge Vor­ge­hen ver­un­mög­licht, ist das müh­se­li­ge Ar­beit, und viel­leicht haben die Emp­fän­ger:innen Adres­sen oder Pro­gram­me ge­wech­selt und ich er­rei­che sie gar nicht.- Aus­tausch hilft: für Tipps und zur Auf­lo­cke­rung. Sol­che 'klei­nen' Zu­a­r­bei­ten gibt es tau­sen­de, nie of­fi­zi­ell er­wähnt, dabei er­hal­ten sie die Ge­sund­heit.

Werk von Ute Klein: ‚come back‘, 2022, 3 Collagen aus Lithografieausschnitten. Bild: Eva Rugel

Wie sich ein künst­le­ri­sches Werk ent­wi­ckelt

Es gibt das afri­ka­ni­sche Sprich­wort: „Um ein Kind auf­zu­zie­hen, braucht es ein gan­zes Dorf." Kind­s­ent­wick­lung ist nicht al­lein Sache der El­tern oder der Schu­le, son­dern es braucht ein gan­zes Netz­werk von Be­zie­hun­gen, Mög­lich­kei­ten, For­de­run­gen, Hil­fe­stel­lun­gen und Raum für Er­fah­run­gen um als Mensch wach­sen, sein Po­ten­ti­al ent­fal­ten und Teil der Ge­sell­schaft wer­den zu kön­nen. 

Die­ses viel­schich­ti­ge Bild kann man gut auch auf die Ent­wick­lung einer Idee, eines (künst­le­ri­schen) Werks und auch des Er­folgs an­se­hen. Ein Genie, das al­lein aus sich ar­bei­tet, gibt es nicht, gab es noch nie. Je­mand Her­aus­ra­gen­des hat spe­zi­el­le Fä­hig­kei­ten, hat die per­fek­tio­niert, aber hat auch ein Um­feld ge­fun­den und ge­schaf­fen und er­hal­ten, das Wei­ter­wach­sen er­mög­licht. 

Zum Wei­ter­wach­sen braucht es Her­aus­for­de­run­gen wie Ausstel­lungs­mög­lich­kei­ten oder Räume, aber auch Geld, An­er­ken­nung und Re­so­nanz und ver­trau­en­de Ruhe. Auch Er­folg ist immer ein Zu­sam­men­spiel von ganz vie­len und vie­lem.

Meine Ar­beits­wei­se: Ziel­los, aus­schwei­fend, aus­dau­ernd

Um Künst­ler:in zu wer­den, braucht es die­ses 'Dorf', die­ses weit ge­spann­te Zu­sam­men­spiel von Mit­ge­brach­tem, Bei­ge­brach­ten, Ge­üb­tem, Ge­for­der­tem und Er­mög­lich­tem, und um Künst­ler:in zu sein auch und um es blei­ben zu kön­nen noch mal! An­ders als in den meis­ten Be­ru­fen ga­ran­tie­ren weder Aus­bil­dung noch Er­folg noch Er­fah­rung ir­gend­was (aber sie hel­fen!).

Wenn mich etwas in­ter­es­siert, gehe ich dem ziel­los, aus­schwei­fend und aus­dau­ernd nach. Wenn es sich ge­setzt hat, der Kopf wie­der frei ist, fliesst es plötz­lich in mein Malen ein.

Und dann möch­te ich ein­fach Zeit, um dran­blei­ben zu kön­nen.

So ent­spre­che ich, al­lein im Ate­li­er in Most­in­di­en ma­lend, in vie­lem dem Pro­to­typ des nicht­kol­la­bo­ra­ti­ven Kunst­schaf­fen­den, bin auch keine Par­ty­nu­del, und doch ist mir Aus­tausch wich­tig. Mich in­ter­es­siert, was ge­macht wird und ich gehe (wenn mög­lich) vor Ort schau­en, da die me­di­a­le Ver­mitt­lung man­ches er­hellt, das Er­leb­nis im Raum und mit an­de­ren Men­schen aber an­ders und weit viel­schich­ti­ger ist. 

Di­gi­tal und real un­ter­wegs

Ich bin di­gi­tal und real un­ter­wegs um zu sehen, schät­ze Ge­sprä­che um Ge­se­he­nes ver­ste­hen zu kön­nen, um zu ver­mit­teln, um In­ter­es­san­tes zu un­ter­stüt­zen, um für Ge­lun­ge­nes zu dan­ken, um Spiel­fel­der oder Mit­spie­ler:innen zu fin­den oder wie­der­zu­se­hen.  Aus­tausch ist dann span­nend, wenn Sub­stanz und Ei­gen­heit da sind, wenn sich Re­so­nanz er­eig­net.

Dazu das Er­leb­nis, das hin­ter einer mei­ner obi­gen Fra­gen steht: Der Ga­le­rist Adri­an Bleisch hatte letz­tes Jahr Con­rad Stei­ner und mich kurz­fris­tig an­ge­fragt ge­mein­sam aus­zu­stel­len. Ich kenne Con­rad seit Jahr­zehn­ten und schät­ze seine Werke und die tief­ge­hen­den Ge­sprä­che über Ma­le­rei. Zu­sam­men aus­ge­stellt hat­ten wir aber noch nie. 

Ge­mein­sam ent­wi­ckel­ten wir die Ausstel­lung 'in­ter­sec­ti­on'. Das Ne­ben­ein­an­der­hän­gen hat so­wohl uns in­ten­siv her­aus­ge­for­dert als auch mit den Be­su­cher:innen zu ver­blüf­fend vie­len le­ben­di­gen Ge­sprä­chen ge­führt. Die einen be­gan­nen mit 'das ist ja sehr ähn­lich, habt ihr das zu­sam­men ge­macht?' und die an­de­ren mit 'das ist ja kom­plett an­ders, wieso ne­ben­ein­an­der?' und en­de­ten nicht beim Ge­gen­teil, son­dern tauch­ten ein ins Sehen der Ei­gen­hei­ten und er­zähl­ten davon.

Ute Klein, Ma­le­rin
Thur­gau­Kul­tur

«Tourneen sind spannend, aber auch wahnsinnig anstrengend.» Zwischen Bereicherung und Ermüdung: Der Musiker Fabian Ziegler über das Unterwegssein und das Tourleben.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

In den letz­ten Wo­chen war ich viel un­ter­wegs. Nicht am Her­um­rei­sen für mei­nen Ur­laub – Som­mer, Sonne, Son­nen­schein – aber an ver­schie­de­nen Orten mit der Musik. Wo genau führt mich meine Ar­beit als Mu­si­ker hin? Was sind die Her­aus­for­de­run­gen auf Tour? Was sind die be­rei­chern­den Sei­ten einer Tour?

Un­ter­wegs mit Freun­den: Fa­bi­an Zieg­ler und Luca Staf­fel­bach auf ihrer Tour­nee in Neu­see­land 2022. | © zVg

In der Welt zu Hause

Mein per­sön­li­ches Ziel ist es, als So­list und Kam­mer­mu­si­ker tätig zu sein. Das be­in­hal­tet nicht nur Rei­sen in der Schweiz, son­dern auch oft im Aus­land. In den letz­ten Jah­ren führ­ten mich meine Kon­zer­te unter an­de­rem nach Neu­see­land, Süd­ko­rea, Deut­sch­land und in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka. Jede Tour, je nach En­sem­ble oder Grup­pe und auch jedes Land, hat seine Ei­gen­hei­ten. 

Für die kom­men­den Jahre sind viele Kon­zert­tour­ne­en in Pla­nung. Ich freue mich be­reits dar­auf, an be­kann­ten Orten der US-Ost­küs­te, aber auch im pul­sie­ren­den Los An­ge­les oder we­ni­ger be­kann­ten Städ­ten die neu für mich sein wer­den, zu kon­zer­tie­ren. Und damit ver­bun­den werde ich wie­der die Mög­lich­keit haben, mit an­de­ren wun­der­vol­len Mu­si­ke­rin­nen und Mu­si­kern ar­bei­ten zu dür­fen.

Jeden Tag neue Her­aus­for­de­run­gen

Das Tou­ring be­in­hal­tet ex­trem be­rei­chern­de Sei­ten. Nebst vie­len neuen und span­nen­den Leu­ten kommt man in Kon­takt mit an­de­ren Men­ta­li­tä­ten. Neue, nicht plan­ba­re Tour-Her­aus­for­de­run­gen zwin­gen einen dabei auch, sich selbst noch etwas bes­ser von einer an­de­ren Seite ken­nen­zu­ler­nen.

Als enor­me Be­rei­che­rung finde ich den Kon­takt mit Per­so­nen aus ver­schie­dens­ten Her­kunfts­län­dern und Kul­tu­ren. Ihre per­sön­li­chen Ge­schich­ten er­öff­nen mir in jedem Ge­spräch oder jeder Zu­sam­me­n­a­r­beit neue Per­spek­ti­ven auf die heu­ti­ge Welt und die Musik im all­ge­mei­nen. 

Hei­mat ist da, wo meine Fa­mi­lie ist

Wie be­reits im Titel mei­ner Ko­lum­ne er­wähnt, ist man als in­ter­na­ti­o­nal tä­ti­ger Mu­si­ker in der Welt zu­hau­se. Und trotz­dem, rich­tig zu­hau­se bin ich in Mat­zin­gen TG, wo meine Frau, un­se­re Katze, meine Fa­mi­lie und Freun­de mich um­ge­ben und ich meine Wur­zeln habe. Ein Ho­tel­bett kann das ei­ge­ne nicht er­set­zen. Eben­so kön­nen die sich die fast täg­lich ver­än­dern­den Um­ge­bun­gen wäh­rend einer Tour ge­le­gent­lich er­mü­dend und un­ge­wohnt wir­ken.

Im All­ge­mei­nen be­trach­te ich das Leben als Künst­le­rin oder Künst­ler gleich wie bei Sport­le­rin­nen und Sport­lern. Es ist eine ex­trem span­nen­de und zei­t­in­ten­si­ve Be­ru­fung in die­sem Ge­biet ar­bei­ten zu dür­fen. Trotz gros­ser Frei­hei­ten – und dem Pri­vi­leg das Hobby zum Beruf ma­chen zu kön­nen – bringt un­se­re Tä­tig­keit als Künst­ler auch Ver­zicht mit sich. 


Fa­bi­an Zieg­ler auf der welt­gröss­ten Messe für Per­kus­sio­nist:innen in In­di­a­naplois im No­vem­ber 2022.

Die Ar­beit als Künst­ler be­deu­tet auch Ver­zicht

Ver­pass­te Fa­mi­li­en­fei­ern, das Zu­sam­men­sit­zen mit Freun­den auf­grund von Kon­zer­ten oder wegen an­stren­gen­den Übungs­se­quen­zen im Pro­be­lo­kal über Wo­chen­en­den oder Fei­er­ta­gen sowie häu­fi­ge Rei­se­tä­tig­keit ge­hö­ren auch dazu. Und doch, trotz all die­ser «Opfer» ist das Mu­si­ker- re­spek­ti­ve Künst­ler­le­ben, für wel­ches ich mich ent­schie­den habe, äus­serst er­fül­lend.   


Ge­re­gel­ter Ta­ges­ab­lauf hilft beim Wohl­füh­len

Um trotz aller Hek­tik etwas Ruhe für mich per­sön­lich zu fin­den ist es wich­tig, sich so zu or­ga­ni­sie­ren, dass sich Rei­sen und En­ga­ge­ments so an­ge­nehm wie mög­lich ge­stal­ten las­sen. 

Dazu ge­hö­ren klei­ne An­nehm­lich­kei­ten wie gutes Essen, das Fin­den von wun­der­vol­len Kaf­fees mit ein­la­den­den Ku­chen sowie ein mög­lichst ge­re­gel­ter Ta­ges­ab­lauf. Sport, Lesen und das Er­kun­den neuer Kon­zer­tum­ge­bun­gen sind nebst viel­sei­ti­ger Ab­wechs­lung sehr be­rei­chernd und hel­fen mir, meine Auf­ga­ben als Mu­si­ker voll­um­fäng­lich wahr­zu­neh­men. 


Erst neu, dann ge­wohnt: Der Zir­kel des Künst­ler:in­nen­le­bens

Neues ver­mischt sich mit Ge­wohn­tem, Ge­wohn­tes ent­wi­ckelt sich wei­ter und Neues wird zu Ge­wohn­tem. 

Die vie­len Fa­cet­ten des Künst­lers, der in der Welt zu Hause ist. 

Fa­bi­an Zieg­ler, Mu­si­ker
Thur­gau­Kul­tur

«Man kann alles machen in einem Text, solange es Leser:innen gibt, die einem glauben.» Die Autorin Tabea Steiner über die komplizierte Suche nach Wahrheit in literarischen Texten.

Wie die Literatur das Leben verdichtet und warum trotzdem nicht alles gleich Hochstapelei sein muss. Die Autorin Tabea Steiner über die komplizierte Suche nach Wahrheit in literarischen Texten. | © Canva

(Le­se­dau­er: ca. 3 Mi­nu­ten)

Vor ei­ni­ger Zeit wurde ich für ein Buch, das sich mit kre­a­ti­vem wis­sen­schaft­li­chen Er­zäh­len be­fasst, um ein Zitat ge­be­ten. Ich habe das ge­schrie­ben:

Letz­ten Endes macht es für mich kei­nen Un­ter­schied, wel­cher Gat­tung ein Text an­ge­hört, sei es ein Ge­dicht, ein Essay, eine Er­zäh­lung, sei es eine Re­por­ta­ge oder ein wis­sen­schaft­li­cher Text, sei es ein Epos oder ein So­nett­kranz, sei es ein his­to­ri­scher Roman oder Fan-Fic­tion – und es spielt mir auch keine Rolle, von wem der Text ist.

Ob der Text mir etwas sagt, ob ich ihn gut finde und für ge­lun­gen halte, hängt al­lein davon ab, ob ich ihm jeden ein­zel­nen Satz glau­be.  

Schrei­ben ist auch Prah­len, Trick­sen und Mo­geln

Und damit habe ich mich na­tür­lich mit­ten in die Dis­kus­si­on über den Wahr­heits­be­griff be­ge­ben. Als wäre der Beruf der Schrift­stel­le­r­in nichts an­de­res als Be­schö­ni­gen, Fan­ta­sie­ren, Ver­fäl­schen, Prah­len, Trick­sen und Mo­geln, als ginge es nicht darum, der Leser:in­nen­schaft hau­fen­wei­se Bären auf­zu­bin­den. Als wäre es nicht ein ein­zi­ges Fin­den und Hin­zu­er­fin­den.

Oder, um es mit Nietz­sche zu sagen: «Die Wahr­hei­ten sind Il­lu­si­o­nen, von denen man ver­ges­sen hat, dass sie wel­che sind (…).»

Na­tür­lich ist es pure Hoch­sta­pe­lei, wenn ich Be­grif­fe wie «Wahr­heit» oder gar ein phi­lo­so­phi­sches Zitat in einen Text ein­streue. Aber ich muss beim Schrei­ben für jeden ein­zel­nen Text seine ihm ei­ge­ne Wahr­heit fin­den, und sei diese noch so er­stun­ken und er­lo­gen. Ich muss zu­wei­len, damit der Text in sich stimmt, Er­in­ne­run­gen ver­dre­hen, Tat­sa­chen um­stül­pen.

Warum Fi­gu­ren glaub­haft sein müs­sen

Beim Lesen wie­der­um muss mir eine Ro­man­fi­gur glaub­haft vor­kom­men, in dem, was sie tut, denkt, sagt, und ein Ge­dicht darf noch so dis­so­nant klin­gen, wenn es mir damit etwas ver­mit­telt, was mehr ist als seine blos­se Form.

Wenn das Ge­dicht sich nur reimt, zucke ich die Schul­tern, und wenn alles vor­her­seh­bar ist, was der Ro­man­fi­gur wi­der­fährt, dünkt es mich wenig raf­fi­niert, auch wenn sich das wirk­li­che Leben zu­meist ja tat­säch­lich ganz un­spek­ta­ku­lär ab­spielt.

Warum Autor und Haupt­fi­gur nicht das­sel­be sind

Aber ich kann einem Text, selbst wenn es sich darin um einen alten weis­sen Mann dreht, der sich aus lau­ter Selbst­mit­leid, dass er nicht Greta Thun­berg ist, in seine Villa auf einer grie­chi­schen Insel zu­rück­zieht, jedes ein­zel­ne Wort glau­ben, in die­sem kon­kre­ten Fall sogar jeden ein­zel­nen Satz ab­fei­ern, ge­ra­de weil der Autor, der sich in die­sem Text immer mal wie­der zu er­ken­nen gibt, so grund­ehr­lich ist in der Er­grün­dung sei­ner Le­bens­kri­se, dass am Ende ein un­fass­bar gross­ar­ti­ger Text dabei her­aus­kommt. Dass er, als Kli­max ge­wis­ser­mas­sen, auf einem Schiffs­deck sei­nen ei­ge­nen Namen tanzt, das glau­be ich dem Schrift­stel­ler nicht, sei­nem Prot­ago­nis­ten aber sehr wohl.

Man kann als Schrei­ben­de also alles ma­chen in einem Text, was man nur will, so­lan­ge es Leser:innen gibt, die einem glau­ben mögen. In mei­nem vor­he­ri­gen Bei­trag hier in die­ser Reihe etwa habe ich davon ge­schrie­ben, wie ich mit einer Freun­din im nahen Stadt­wald die Glüh­würm­chen be­sucht habe. Die­sen Text habe ich all mei­nen Freun­din­nen, mit denen ich die Glüh­würm­chen be­sucht habe und die darin zu einer ein­zi­gen Freun­din zu­sam­men­ge­schmol­zen sind, ge­schickt.

Wahr und über­prüf­bar: Was Re­por­ta­gen un­ter­schei­det

Aber nicht mit jedem Text kann ich alles ma­chen, nicht mit jeder Text­sor­te. Ge­ra­de bin ich daran, meine erste Re­por­ta­ge fer­tig­zu­stel­len. Ich habe dafür ein Jahr lang eine junge Frau be­sucht, die an einer chro­ni­schen Krank­heit lei­det. Da gibt es nichts zu er­fin­den, jedes Wort muss wahr und über­prüf­bar sein. Etwas hin­zu­zu­fü­gen oder weg­zu­las­sen wäre der jun­gen Frau ge­gen­über schlicht ein Hohn. Und eine Re­por­ta­ge er­for­dert es, dass man sie einem stren­gen Fak­ten-Check un­ter­zieht, wenn man se­ri­ös ar­bei­ten will.

Die Ge­schich­te der jun­gen Frau be­wegt mich auch über das Schrei­ben hin­aus, ich habe mehr­mals von ihr ge­träumt, und als ich in der in­ten­sivs­ten Schreib­pha­se war, habe ich auch vom Text ge­träumt, davon, dass er sprach­lich ei­ni­ges zu wün­schen üb­riglässt, weil es doch eine li­te­ra­ri­sche Re­por­ta­ge wer­den soll. Im Traum bin ich in den Gar­ten hin­aus­ge­gan­gen, habe Kräu­ter ge­schnit­ten und sie dem Text hin­zu­ge­fügt, und damit war ich zu­frie­den, und die Her­aus­ge­ber:innen auch.

Erst träu­men, dann schrei­ben

Ich habe der jun­gen Frau am nächs­ten Tag eine Nach­richt ge­schickt, in der ich ihr von mei­nem Traum er­zählt habe.

Was für Kräu­ter, frag­te sie zu­rück, Ros­ma­rin, Thy­mi­an und Sal­bei?

Ich er­in­ner­te mich an Pfef­fer­min­ze und Ko­ri­an­der.

Tabea Stei­ner, Au­to­rin
Thur­gau­Kul­tur

«You never know where it leads you». So viel Mühe, so viel Freude: Die Fotografin Thi My Lien Nguyen über die Arbeit als Künstlerin. In der Serie von ThurgauKultur sind die Autor:innen frei in der Wahl ihrer Ausdrucksformen. Dieses Mal hat sich Thi My Lien Nguyen dafür entschieden, ihren Text auf englisch zu verfassen.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

Never ever have I thought I would call my­self „ar­tist” at some point. Co­ming from a fa­mi­ly with mi­grant back­ground and them ex­pe­ri­en­cing what it takes and how it feels like to start from point zero – fi­nan­ci­al­ly seen, the im­port­an­ce of „get­ting a real job”, mea­ning a well paid job, which se­cu­res your exis­tence in our (ca­pi­ta­li­stic) world, has al­ways been an es­sen­ti­al les­son throug­hout my child­hood.

Today, there are times I still feel weird about la­be­ling my­self as an ar­tist, just be­cau­se peo­ple have dif­fe­rent views on it – some as­s­u­me you’­re well off or you’­re taken care of and you don’t ac­tu­al­ly have (or need) a job.

Foto: © Thi My Lien Nguyen

Free­dom comes with re­stric­ti­on

Being an ar­tist can mean many many things. One of these things I ap­pre­cia­te the most is the free­dom it holds – and be­cau­se I stron­gly be­lie­ve in the con­cept of du­a­li­ty and the­re­fo­re eve­r­y­thing comes in two, just like two sides of a coin or how we ex­pe­ri­ence ups and downs, there is also the other side of free­dom – some call it re­stric­ti­on, some con­fi­ne­ment, some even trap­ping. 

I think throug­hout life, we ought to find ways to na­vi­ga­te bet­ween those “two sides” – ex­pe­ri­en­cing the happy but also the sad times, en­joy­ing the sweet, but also em­bra­cing the salty/bit­ter sides of life.

The ques­ti­on is, if the weight of that cost aka “the other side” is so­me­thing I am wil­ling to carry?


It is all about get­ting to know your­self

To ans­wer this ques­ti­on it is es­sen­ti­al to me, to know my­self well enough to make these de­ci­si­ons. So much of ma­king work as an ar­tist is about get­ting to know your­self re­al­ly, re­al­ly well. 

What works for me? What gives you or even drains your ener­gy? What holds your in­te­rest and with what kind of peo­ple do you like wor­king with? What in­spi­res you? What puts you off?

And be­lie­ve me, it is an ever on­going pro­cess to ans­wer these ques­ti­ons, be­cau­se our re­a­li­ty, our life, our en­vi­ron­ment are con­stant­ly chan­ging, right?


I force my­self to have a plan

I have al­ways been ma­king things and pro­jects, but never ever have I thought I would do this full-time. With that comes the free­dom men­ti­o­ned be­fo­re, but I also force my­self to have a plan and a sche­du­le, which are de­si­g­ned after my goals, my own found pur­po­se and after all these ans­wers from these ques­ti­ons above. It’s a plan which is not too re­stric­ting and lea­ves space for wig­gles – em­bra­cing the du­a­li­ty. It is re­al­ly about sho­wing up for that plan, for that pur­po­se – for your­self.

On that note, isn’t that with eve­r­y­thing? If you made a de­ci­si­on and you stick to it, eve­r­y­day, again and again, you will have de­ve­lo­ped your prac­ti­ce at some point, no?


What it needs? Cou­ra­ge, per­sis­tence, will, some luck an pri­vi­le­ges

It takes cou­ra­ge, per­sis­tence, a lot of will, some luck and yes, in our cur­rent world, pri­vi­le­ges are usu­al­ly also part of it, to make it work as an ar­tist.

What does this mean spe­ci­fi­cal­ly in my case?

To earn my li­ving, I work as a pho­to­gra­pher – in a very clas­sic way. Sim­p­ly put: Ta­king on va­rious as­si­gnments, de­li­ve­r­ing the pho­to­gra­phy and get­ting paid for it. Then I work as an ar­tist, co­ming up with ideas and con­cepts, pro­du­cing the ac­tu­al work, doing ex­hi­bi­ti­ons throug­hout the year, where the ar­tist fees are usu­al­ly not paid well enough to se­cu­re my whole exis­tence so­le­ly re­ly­ing on that in­co­me. (If I would even want that though, it is a whole other topic.) There are times, I then sell my edi­ti­ons to pri­va­te col­lec­tors or pu­blic in­sti­tu­ti­ons. 


About good time-ma­nage­ment and money

Wi­thin my art prac­ti­ce I also do com­mu­ni­ty-based work, mea­ning I cre­a­te work­shops, per­for­man­ces or pie­ces of so­ci­al en­ga­ged art. Like many ar­tists in Swit­zer­land, I also apply for fun­dings, grants and re­si­den­cies to cre­a­te these bo­dies of work in the end. Be­cau­se prin­ting pho­to­gra­phy, crea­ting books, ex­hi­bi­ti­ons and per­for­man­ces need not only good time-ma­nage­ment, but also money to pay for the ex­pen­ses. Un­for­tu­na­te­ly, the ar­tist fees come last and con­sist of what is left (or not).

Uff, it does sound like a lot. And so­me­ti­mes it is, but never ever have I ima­gi­ned that I would be able to fill my days with so much joy and time to go after my cu­ri­o­si­ty, trans­la­ting my ideas and vi­si­ons from my head into the real world. Crea­ting mea­ning, com­mu­ni­ty, re­pre­sen­ta­ti­on and pu­shing for a more ca­ring world is why I do what I do. And being able to do that full-time is truly a bles­sing.


Thi My Lien Nguy­en, Fo­to­gra­fin und Künst­le­rin
Thur­gau­Kul­tur

«Räume faszinieren mich!» Die Malerin Ute Klein über Wettbewerbe, Niederlagen und was man bei Kunst-am-Bau-Projekten lernen kann.

(Le­se­dau­er: ca. 3 Mi­nu­ten)

Als Ju­gend­li­che woll­te ich mal Bild­hau­e­rei stu­die­ren. Von dem Wunsch liess ich mich ab­brin­gen, aber in mei­ner Ma­le­rei geht es viel um Be­we­gung im Raum, um Fa­r­b­raum oder um Über­gän­ge von einem räum­li­chen Sehen ins an­de­re.

Räume fas­zi­nie­ren mich, spre­chen mich an oder ver­lan­gen Ant­wor­ten.

Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Räu­men for­dern mich her­aus: daher in­ter­es­sie­ren mich auch Ar­bei­ten im öf­fent­li­chen Raum, Kunst am Bau oder ortss­pe­zi­fi­sche Ar­bei­ten. Räume sind nicht nur ar­chi­tek­to­nisch oder ge­schicht­lich un­ter­schied­lich, son­dern auch be­züg­lich Ener­gie­ef­fi­zi­enz oder Funk­ti­on: Wel­che Men­schen ar­bei­ten oder sind dort, in wel­chem Zu­stand kom­men sie dort­hin, wofür? Ob ich eine Ar­beit für eine Pri­mar­schu­le oder ein Pfle­ge­heim ent­wer­fe, wirft an­de­re Fra­gen auf, be­stimmt mei­nen An­satz zen­tral. Das sind meist Wett­be­wer­be: ich muss meine Ent­wurfs­idee samt vor­ge­se­he­ner Um­set­zung und Kos­ten der Jury schrift­lich und/oder münd­lich vor­stel­len.


Alles fliesst: Kunst am Bau von Ute Klein: present, (Parterre, Haus 17), 2 x 7 Wandmalereien auf Sichtbeton in den gemeinschaftlichen Treppenhäusern von zwei Wohnblöcken mit Eigentumswohnungen in Arbon. | © Ute Klein

Jeder Wett­be­werb ist an­ders

Sol­che Wett­be­w­erb­s­ein­ga­ben sind höchst in­ten­si­ve geis­ti­ge Vor­stel­lungs-turn-übun­gen. Oft exis­tie­ren vom Bau erst Pläne, oder es wird einem ein Ge­bäu­de ge­zeigt, das nach dem vor­ge­se­he­nen Umbau kom­plett an­ders aus­se­hen, an­ders er­schlos­sen, an­ders im Um­feld ein­ge­bet­tet sein wird. 

Was in einem Kin­der­gar­ten oder einem Spi­tal pas­siert, kann man sich vor­stel­len, an­le­sen oder er­fra­gen, aber ich wurde auch schon für einen Wett­be­werb ein­ge­la­den für ein Wohn­heim für be­ein­träch­tig­te Er­wach­se­ne mit her­aus­for­dern­dem Ver­hal­ten. Ein Ort, wo diese teils jun­gen Men­schen in of­fe­nen und ge­schlos­se­nen Wohn­grup­pen leben. Leben kön­nen, aber auch leben müs­sen, da wir/un­se­re Ge­sell­schaft sie nir­gends sonst er­tra­gen! 

'fliessendes', Wandmalerei von Ute Klein vor Konferenzräumen Spital Frauenfeld, 2022.
Bild: Eva Rugel


Die gros­se Frage: Was kann Kunst?

Dabei habe ich Ein­blick in Le­bens­wirk­lich­kei­ten be­kom­men, die mich tief be­rühr­ten. Etwas zu fin­den, das diese Men­schen jahr­ein jahr­aus um sich haben wer­den, er­zeugt eine gros­se Dring­lich­keit ein gutes Pro­jekt zu fin­den und stellt mich vor die gros­sen Fra­gen, was Kunst kann und was ich bei­tra­gen kann.

Bei den Wett­be­wer­ben ist es wie im Sport: man ge­winnt nicht immer. Und bei Kunst am Bau star­ten zu­sätz­lich nicht alle in der­sel­ben Dis­zi­plin, son­dern da wer­den ganz un­ter­schied­li­che Ideen ver­gli­chen und es wird ge­wählt, was am bes­ten passt oder am meis­ten ver­spricht zu pas­sen. 


Der Schmerz der Nie­der­la­ge

Nicht zu ge­win­nen, tut weh: Auf­trag/Ver­dienst gin­gen flö­ten, Ego ge­kränkt und last but not least und an­ders als im Sport: diese Idee kann nicht um­ge­setzt wer­den. Von der Idee zur Aus­füh­rung lernt man viel, denn sogar, wenn Idee und Aus­füh­rung ähn­lich aus­se­hen, war mein Weg dort­hin noch nie ge­rad­li­nig. Beim Ma­chen zei­gen sich neue Fra­gen. Manch­mal ist die Idee so wich­tig, dass sich Teil­chen davon an­ders­wo Ter­rain zum Wach­sen su­chen.

Von der Idee zur Aus­füh­rung ver­ge­hen manch­mal Jahre, die Ar­beit muss aus­ge­führt wer­den, wenn der Bau so weit ist: Für das Spi­tal Frau­en­feld habe ich im Win­ter 2013 am of­fe­nen Wett­be­werb teil­ge­nom­men, kam in die zwei­te Runde, wo man die Idee ge­nau­er aus­ge­ar­bei­tet vor­stellt, und wurde im Sep­tem­ber 2013 für die Aus­füh­rung zwei­er Wand­ma­le­rei­en aus­ge­wählt (zu­sam­men mit vier Künst­lern und ihren Vor­schlä­gen). Die Ma­le­rei im Emp­fang durf­te ich Ende 2019 aus­füh­ren, die vor den Kon­fe­renz­räu­men letz­ten No­vem­ber, mehr als neun(!) Jahre nach der ers­ten Ide­en­skiz­ze. Die Räume muss­ten erst­mal ge­baut wer­den! 


Auf einer Bau­stel­le künst­le­risch ar­bei­ten

Manch­mal kommt die Aus­füh­rung aber auch sehr schnell: Im Fe­bru­ar hatte ich eine län­ger ge­plan­te Ein­zelausstel­lung im Kunst­ver­ein Frau­en­feld. Dann habe ich im Herbst einen Wett­be­werb ge­won­nen, mein Pro­jekt 'pre­sent', 14 Wand­ma­le­rei­en in den Trep­pen­häu­sern von zwei 7-stö­cki­gen Neu­bau­ten, muss­te aber ab Ja­nu­ar bis Mitte Fe­bru­ar aus­ge­führt wer­den! 

Nach Ausstel­lungs­auf­bau, Ver­nis­sa­ge und Füh­run­gen im Kunst­ver­ein di­rekt ab auf die Bau­stel­le: Mit­ten im Win­ter ins un­ge­heiz­te Trep­pen­haus allen Hand­wer­kern vor Augen oder gar im Weg, in Kälte und Staub, zwi­schen Radio-, Ma­schi­nen­lärm und ver­schie­dens­te Spra­chen. 

Das Projekt "present", (3.Stock, Haus 19), 2 x 7 Wandmalereien auf Sichtbeton in den gemeinschaftlichen Treppenhäusern von zwei Wohnblöcken mit Eigentumswohnungen, Arbon. Bild. Ute Klein

Auf Sicht­be­ton malen zu dür­fen, be­geis­tert mich

Sogar mit Ther­mowä­sche, Mütze und spe­zi­el­len Hand­schu­hen, ist es eisig, wenn man mit ru­hi­ger Hand und fei­nem Pin­sel prä­zi­se Li­ni­en auf Sicht­be­ton­wän­de malt, wäh­rend Bau­a­r­bei­ter schwit­zend schwe­re Teile trans­por­tie­ren, daher Türen unten und oben of­fen­las­sen und die Minus Tem­pe­ra­tu­ren durchs Trep­pen­haus strö­men...

Egal wie kalt, di­rekt auf Sicht­be­ton malen zu dür­fen, be­geis­tert mich.

Die­ses Ar­bei­ten auf dem Bau finde ich span­nend, von der Aus­füh­rung auf an­de­rem Ma­te­ri­al, der Zu­sam­me­n­a­r­beit mit Fach­leu­ten bis zum je­weils bau­stel­le­n­ei­ge­nen Ar­beits­kli­ma, und den völ­lig an­de­ren Ar­beits­be­din­gun­gen als in Ate­li­er oder Kuns­t­raum. Wenn Fa­bi­an von sei­nen Welt-Tour­ne­en schreibt, so er­le­be ich hier ähn­li­ches: Ausstel­lungs­auf­bau und Wand­ma­le­rei brau­chen viel Vor­be­rei­tung und zwi­schen Ga­le­rie und Bau lie­gen Wel­ten: auch Rei­sen, meine Rei­sen.

Die Re­ak­ti­o­nen sind oft sehr di­rekt

An­fangs werde ich auf dem Bau als Fremd­kör­per be­äugt, mit der Zeit er­ge­ben sich Kon­tak­te, ob­wohl oder weil ich nur still und kon­zen­triert male, ein­fach sicht­bar meine Ar­beit aus­füh­re, nicht nur im Weg bin mit mei­ner Lei­ter, son­dern lang­sam etwas ent­steht.

Es wird sehr di­rekt ge­fragt und kom­men­tiert, manch­mal flap­sig schnip­pisch, manch­mal in­ter­es­siert, ab und zu wun­der­schön. Wenn je­mand wild­frem­des im Überg­wänd­li hin­ter einem ste­hen bleibt, ge­fühlt ewig still zu­schaut und dann völ­lig über­ra­schend und mit ru­hi­ger Über­zeu­gung sagt 'das chunt guet', dann tut das sehr gut.

Ute Klein, Ma­le­rin
Thur­gau­Kul­tur

«Habt keine Angst vor zeitgenössischer Musik!» Der Schlagzeuger Fabian Ziegler über seine Lieblingsmusik und warum es nicht immer Mozart, Beethoven oder Bach sein müssen.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

Heute möch­te ich über ein für mich wich­ti­ges Thema spre­chen. Die zeit­ge­nös­si­sche Musik. Als Schlag­zeu­ger bin ich dafür prä­des­ti­niert. Unser In­stru­ment, die klas­si­sche Per­kus­si­on als Kam­mer­mu­sik und So­lo­in­stru­ment, be­steht noch keine 100 Jahre.

Des­halb gibt es für diese noch junge Mu­sik­spar­te keine Werke gros­ser Kom­po­nis­ten wie zum Bei­spiel Mo­zart oder Beet­ho­ven. Darum ist der gröss­te Teil der Werke, wel­che ich an Kon­zer­ten prä­sen­tie­re von zeit­ge­nös­si­schen Kom­po­nis­ten.

Fabian Ziegler beim Releasekonzert seines neuen Albums "Modern Gods" | © zVg


Zeit­ge­nös­si­sche Musik heisst ei­gent­lich nur, dass es Musik von heute ist

Zeit­ge­nös­si­sche Musik wird vom Pu­bli­kum oft als in­halts­los und zu­fäl­lig an­ge­se­hen. Bei ge­nau­e­rer Be­trach­tung stellt man je­doch sehr schnell fest, dass die­ser Ein­druck täuscht. 

Es gibt viele ver­schie­de­ne Arten der zeit­ge­nös­si­schen Musik. Ver­ein­facht ge­sagt ist jeder neue Pop­song zeit­ge­nös­si­sche Musik, denn der Song­wri­ter oder die Song­wri­te­rin, haben das Lied in der heu­ti­gen Zeit ge­schrie­ben. 


Musik der Zeit vor­aus?

Land­läu­fig wird der Be­griff «zeit­ge­nös­si­sche Musik» als wenig ver­ständ­lich oder ab­s­trakt ein­ge­schätzt. Kom­ple­xe Struk­tu­ren, un­ge­wohn­te Ak­kor­de oder Rhyth­men, dis­so­nan­te Klän­ge oder oft Musik die aus­sch­liess­lich auf Ef­fek­ten ba­siert, über­for­dern viel­fach Kon­zert­be­su­che­rin­nen und Kon­zert­be­su­cher, die sich nicht mit die­ser Art Musik aus­ein­an­der­set­zen. 

Ver­ges­sen wir nicht – auch zu Zei­ten von Hec­tor Ber­lioz, in der Ro­man­tik und mit dem Start der Pro­gramm­mu­sik, war seine Musik neu, schwer zu ver­ste­hen und wurde von einem brei­te­ren Pu­bli­kum nicht an­ge­nom­men. Seine «Sym­phony Fan­tas­ti­que» war bei der Ur­auf­füh­rung ein De­ba­kel – heute ist sie eines der gros­sen, klas­si­schen Werke. Sind Kom­po­nis­tin­nen und Kom­po­nis­ten mit sol­chen Wer­ken ihrer Zeit vor­aus? Die Zu­kunft wird es zei­gen.


Mu­si­ka­li­sche Ge­schich­te von heute 

Meine be­vor­zug­te Art der zeit­ge­nös­si­schen Musik sind Werke, die eher der Pro­gramm­mu­sik/Film­mu­sik näher sind als der Avant­gar­de Musik. 

Mir ist es wich­tig in mei­nen Kon­zer­ten Ge­schich­ten mit der prä­sen­tier­ten Musik zu er­zäh­len. Das mache ich zum einen mit der be­wuss­ten Zu­sam­men­stel­lung der Kon­zert­li­te­ra­tur, zum an­de­ren mit den ein­zel­nen Wer­ken, wel­che oft eine klare Ge­schich­te im Hin­ter­grund haben. 

So zum Bei­spiel mit dem Werk «Re­al­Bad­Now» von John Psa­thas, wel­ches sich mit der Ent­wick­lung un­se­rer Ge­sell­schaft aus­ein­an­der­setzt. Un­ter­stützt wird die­ses Stück unter an­de­rem auch von Vi­su­als, wel­che vom Kom­po­nis­ten so vor­ge­se­hen sind und Teil der Per­fo­man­ce sind. Das fol­gen­de Hör­bei­spiel soll die Hemm­schwel­le zur zeit­ge­nös­si­schen Musik etwas ab­bau­en hel­fen. 

Re­al­Bad­Now - V. Re­al­Bad­Now - John Psa­thas (*1966)

Mut haben für Neues

Es muss nicht immer nur Mo­zart, Beet­ho­ven, Brahms oder Bach sein. Die ver­schie­de­nen Arten von zeit­ge­nös­si­scher Musik wer­den oft in einen Topf ge­schmis­sen. Vor­ur­tei­le wie «Ich gehe nicht ins Kon­zert – diese Musik werde ich so­wie­so nicht ver­ste­hen – das ist nichts für mich» ver­hin­dern viel­fach über­ra­schen­de mu­si­ka­li­sche Er­leb­nis­se und an­de­re Sicht­wei­sen.

Genau diese Ge­dan­ken möch­te ich bei Ihnen, liebe Le­se­r­in­nen und Leser än­dern. Haben Sie Mut für Neues! Zeit­ge­nös­si­sche Musik kann ge­nau­so be­rei­chernd sein, wie das Re­per­toire der Klas­sik, des Ba­rocks oder an­de­rer be­kann­ten Stil­rich­tun­gen. Und manch­mal ist es auch die zeit­ge­nös­si­sche In­ter­pre­ta­ti­on genau die­ses «alten» Re­per­toires, wel­che uns zum Stau­nen ver­setzt. Fol­gen­des Hör­bei­spiel ver­deut­licht meine These ein­drü­ck­lich.

Le Tom­beau de Cou­pe­rin - VI. Toc­ca­ta - Mau­rice Ravel (1875 - 1937) / arr. Luca Staf­fel­bach

Auf zum Kon­zert Höchs­te Zeit also, sich die nächs­ten Kon­zert­ter­mi­ne mit Pro­gram­men ohne Beet­ho­ven und Mo­zart in die Agen­da ein­zu­tra­gen. Der Mut wird be­kannt­lich be­lohnt 😉 Hier auch dafür eine Hilfe von www.fa­bi­an­zieg­ler.ch, Ihrem Per­cus­sio­nis­ten aus Lei­den­schaft (und zeit­ge­nös­si­schen Künst­ler).

Fa­bi­an Zieg­ler, Mu­si­ker
Thur­gau­Kul­tur

Unnützes Wissen oder: Die ewige Suche nach dem Nektar eines Textes.

Wie macht man aus einer Re­cher­che einen li­te­ra­ri­schen Text? Die Au­to­rin Tabea Stei­ner ver­sucht es immer wie­der aufs Neue. Die Ant­wort ist nie die­sel­be.


(Le­se­dau­er: ca. 3 Mi­nu­ten)

Im ers­ten Text, den ich für diese Reihe ge­schrie­ben habe, habe ich er­wähnt, dass mich der Ge­dan­ke um­treibt, dass Honig etwas mit Ma­the­ma­tik zu tun haben könn­te, dass es viel­leicht Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen einer der äl­tes­ten Süs­sig­kei­ten und einer der äl­tes­ten wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen gibt.

Die Schrift­stel­le­r­in Ga­bri­el­le Alioth hat ein­mal ge­sagt, dass es bei jedem Text darum gehe, von Neuem her­aus­zu­fin­den, was der Trick da­hin­ter ist, wie man ihn schrei­ben kann. Und dass ein jeder Stoff über sei­nen ganz ei­ge­nen Trick zu einem Text wird.

An der Idee, in der ich Honig mit Ma­the­ma­tik ver­bin­den woll­te, habe ich ein hal­b­es Jahr lang ge­ar­bei­tet, immer wie­der nach dem Trick ge­sucht, wie all das Ma­te­ri­al, das ich ge­sam­melt habe, zu einem Text wird.

Wie die Biene den süssen Nektar aus den Blüten saugt, suchen Autor:innen den Nektar, die Essenz, um einen guten Text schreiben zu können | © Canva

Was man über Bie­nen alles her­aus­fin­den kann

Ich habe wäh­rend der Re­cher­che her­aus­ge­fun­den, dass Bie­nen einen aus­ser­or­dent­li­chen Ori­en­tie­rungs­sinn haben und die Flug­bahn der Sonne be­rech­nen kön­nen.

Den Stand­ort einer guten Fut­ter­quel­le, die ihnen am Mor­gen mit­ge­teilt wurde, fin­den sie des­we­gen auch am Nach­mit­tag bei ver­än­der­tem Son­nen­stand.

Das Sechs­eck, aus der die Bie­nen­wa­be be­steht, ist eine ide­a­le Form. Jeder Win­kel be­trägt 120 Grad. Es ist op­ti­mal in Bezug auf platz­spa­ren­de An­ord­nung, Ener­gie­ver­brauch und So­li­di­tät.

Die Biene ist seit der An­ti­ke Ge­gen­stand von Rät­seln. Die Kö­ni­gin Saba etwa hat König Sa­lo­mo ein Rät­sel ge­stellt, wobei er echte von künst­li­chen Blu­men un­ter­schei­den muss­te. Sa­lo­mo hat Bie­nen zu Hilfe ge­holt, die un­ver­züg­lich zu den ech­ten Blu­men ge­flo­gen sind.

Die Bienen und ihre Waben. Bild: Canva


Die Wirt­schafts­macht der Bie­nen

Bie­nen haben eine in­ne­re men­ta­le Land­kar­te. Man hat Ver­su­che durch­ge­führt, wobei man einen Korb vol­ler Bie­nen auf ein Floss mit­ten in einem See ge­bracht hat. Auf dem Floss gab es Blu­men mit Nek­tar. Die an­de­ren Bie­nen lies­sen sich von ihren Kol­le­gin­nen aber nicht aufs Floss lo­cken, denn sie wuss­ten, dass an die­sem Stand­ort ein See liegt.

Die Wirt­schafts­macht der Bie­nen be­läuft sich auf 153 Mil­li­ar­den Euro. Wür­den die Bie­nen ausste­r­ben, wäre nicht nur das Nah­rungs­mit­tel­gleich­ge­wicht aus dem Lot.

Kryp­to­gra­phie ist die Be­zeich­nung für Ver­schlüs­se­lung, Ste­ga­no­gra­phie ist der Be­griff für die ge­hei­me Über­mitt­lung einer Bot­schaft. Bei Über­mitt­lun­gen mit Hilfe von Ste­ga­no­gra­phie muss man also zu­erst auf die Idee kom­men, dass „da“ etwas sein könn­te.

Was die Ägyp­ter von den Bie­nen lern­ten

Dringt bei­spiels­wei­se eine Maus in einen Bie­nen­stock, wird sie tot­ge­sto­chen, und damit der Ka­da­ver keine Ge­fahr für die Bie­nen dar­stellt, wird er mit Pro­po­lis­kit­t­ha­rz luft­dicht ver­schlos­sen.

Die alten Ägyp­ter haben die Tech­nik der Mu­mi­fi­zie­rung sehr wahr­schein­lich bei Bie­nen ab­ge­schaut, und auch das Ma­te­ri­al dafür steu­er­te die Biene bei: Die Ein­schnitt­stel­len des Leich­nams wur­den mit Wachs be­stri­chen, und der Honig wurde als Des­in­fek­ti­ons­mit­tel ein­ge­setzt.

Bie­nen ver­stän­di­gen sich mit Hilfe der Kör­per­spra­che dar­über, wo Nah­rungs­quel­len zu fin­den sind. Sie nut­zen dazu eine Tanz­kom­mu­ni­ka­ti­on.

Bie­nen fin­den sich über­all in der Mensch­heits­ge­schich­te

Ge­mein­sam mit Karl von Frisch und Ni­ko­laas Tin­ber­gen hat Kon­rad Lo­renz für die Ent­sch­lüs­se­lung des so­ge­nann­ten Schwän­zel­tan­zes 1973 den No­bel­preis er­hal­ten. Kon­rad Lo­renz war Ver­hal­tens­for­scher und Mit­a­r­bei­ter des Ras­sen­po­li­ti­schen Amtes der NSDAP.

Der Ge­ruchs­sinn von Bie­nen ist an den Tast­sinn ge­kop­pelt, die Füh­ler sind Trä­ger des Ge­ruchs­or­gans. Die Tiere kön­nen einen spe­zi­fi­schen Duft aus 750 Düf­ten her­aus­rie­chen.

Der Ge­schichts­schrei­ber He­ro­dot er­zählt vom Krieg zwi­schen Grie­chen­land und Per­si­en, in des­sen Zuge der spar­ta­ni­sche König De­ma­ra­tos von den Grie­chen ver­stos­sen wurde. De­ma­ra­tos lebte fort­an in einer per­si­schen Stadt, wo er mit­be­kam, dass die Per­ser auf­rüs­te­ten. Er warn­te die Spar­ta­ner, indem er von einer Tafel das Wachs ab­schab­te, auf das Holz schrieb, was der per­si­sche König vor­hat­te, und wie­der Wachs dar­über goss. So dach­ten jene, die seine Habe un­ter­such­ten, er hätte eine leere Tafel dabei.

Viel Wis­sen und am Ende doch kein Text?

Bie­nen sind blü­ten­treu, das heisst, sie be­su­chen an einem Tag nur eine Blü­ten­sor­te. Damit si­chern sie den Fort­be­stand der be­such­ten Pflan­zen­art. Fos­si­li­en be­zeu­gen die 100 Mil­li­o­nen Jahre alte Part­ner­schaft zwi­schen Blu­men und Bie­nen.

All das (und noch ziem­lich viel mehr) habe ich wäh­rend der Re­cher­che her­aus­ge­fun­den. Was ich aber nicht her­aus­ge­fun­den habe, war der Trick, wie ich dar­aus einen Text ma­chen könn­te, der mehr ist als eine blos­se Auf­zäh­lung an in­ter­es­san­ten Din­gen. Ich fand das alles ex­trem span­nend, aber meine Text­ent­wür­fe kamen mir bes­ser­wis­se­risch vor, ganz so, als woll­te ich sagen, seht mal her, was ich alles weiss.

Was tun, wenn die Ab­ga­be­frist drängt?

Es stell­te sich ein zwei­tes Pro­blem: ich hatte eine Dead­li­ne. Die edi­ti­on One­pa­ge hatte mich An­fang Jahr an­ge­fragt, etwas für sie zu schrei­ben, und nun stand ich vor einem Hau­fen Ma­te­ri­al, aus dem ich kei­nen Text fer­ti­gen konn­te. Die Freun­din, die ich um Hilfe bat, wuss­te auch nicht viel mehr zu sagen als: „Ich sehe das Pro­blem.“

Am Ende habe ich einen ganz an­de­ren Text ge­schrie­ben, einen über Schnee. Die­ser Text wird in der nächs­ten Aus­ga­be der edi­ti­on One­pa­ge er­schei­nen.

Ein be­son­de­res Li­te­ra­tur­ma­ga­zin

In die­ser Ko­lum­nen­rei­he geht es um das Leben als Künst­le­rin. In einem sol­chen Leben sind Dinge wie die edi­ti­on One­pa­ge sehr wich­tig. Das One­pa­ge ist ein Li­te­ra­tur­ma­ga­zin, das auch ein Pla­kat ist, und vier­mal im Jahr er­scheint. Jedes Pla­kat ent­hält einen Text einer Schrift­stel­le­r­in oder eines Schrift­stel­lers, es ent­hält ein Ge­dicht und es wird von einer Il­lus­tra­to­rin oder einem Il­lus­tra­tor ge­stal­tet. So kom­men zum einen ver­schie­de­ne Kunst­schaf­fen­de zu­sam­men, und zum an­de­ren wird die Ar­beit aller Be­tei­lig­ten be­zahlt.

Und wer nun bis zum Ende des Wer­be­blo­ckes ge­le­sen hat, sei herz­lich ein­ge­la­den, sich auch die Web­si­te von edi­ti­on One­pa­ge an­zu­schau­en.

Tabea Stei­ner, Au­to­rin
Thur­gau­Kul­tur

Vom Aushalten und Neste bauen. Die Fotografin Thi My Lien Nguyen über die Einsamkeit als Solo-Künstlerin und wie Strukturen und Ignoranz, einen ausbremsen können.

(Le­se­dau­er: ca. 2 Mi­nu­ten)

Manch­mal gibt es doch sol­che Mo­men­te im Leben, in denen man ein­fach nichts “tun” kann. Nichts, was der Si­tua­ti­on hilft – nichts dafür, noch was da­ge­gen. Oft ist es die Zeit, oder bes­ser ge­sagt, die Ge­duld, die be­nö­tigt wird, um die Dinge ein­fach ge­sche­hen zu las­sen, ihren Lauf zu las­sen.

Immer wie­der ver­su­che ich mich zu be­sin­nen, dass wir Men­schen im Uni­ver­sum win­zi­ge Amei­sen sind und dass wir als mensch­li­che Spe­zi­es nicht über alles und jeden herr­schen (kön­nen), ob­wohl unser heu­ti­ges mo­der­nes Leben oft sug­ge­riert, dass wir dazu in der Lage sind.

In mei­ner Ar­beit als Künst­le­rin ist es mir wich­tig, dass ich die­sen Aspekt prä­sent halte. Schliess­lich hat jede Per­son, jeder Beruf und jede Be­ru­fung ihre Be­rech­ti­gung und ihre Re­le­vanz.

| © Thi My Lien Nguyen


Warum man im künst­le­ri­schen Pro­zess auch los­las­sen muss

Das Wort “aus­hal­ten” hat für mich etwas Tröst­li­ches. Es wi­der­spie­gelt den Pro­zess, dass ich manch­mal im kre­a­ti­ven Pro­zess ein­fach los­las­sen muss: Wenn ich eine Blo­cka­de er­le­be, wenn ich vor lau­ter Bäume den Wald nicht mehr sehe oder eben ein­fach nicht wei­ter weiss..

Es spricht von einem ge­wis­sen Ver­trau­en, das ich an den Tag legen kann. Ich darf es lie­gen, set­zen oder zie­hen las­sen und noch viel wich­ti­ger, es zeigt, dass die­ser Akt kein “Auf­ge­ben” be­deu­ten muss. Durch die­sen Akt wird un­heim­lich viel Druck ge­löst. Oft­mals kre­i­ert es einen ge­wis­sen “Zwi­schen-Frei-Raum”, der es mir er­laubt In­ne­zu­hal­ten, rum­zu­sprin­gen, zu schrei­en, zu la­chen oder zu heu­len. (Meis­tens pas­siert das eher so men­tal. ;P)

Im Eng­li­schen gibt es viele ver­schie­de­ne Worte fürs “Aus­hal­ten”. To en­du­re sth, to with­stand, to main­tain, to dwell, to hold on, to stand, to bear sth, to su­stain, to to­le­ra­te, to be pa­ti­ent! Vor allem der letz­te Aus­druck spricht mir zu. Viele nen­nen die­sen Akt der Ge­duld, ins­be­son­de­re im kre­a­ti­ven Ar­bei­ten, “Trust the pro­cess”. Und als junge Kunst-De­sign-Stu­den­tin nick­te ich dem be­geis­tert zu, ohne wirk­lich zu wis­sen, von was da genau die Rede war. Da­mals war ich in einem safen Vo­gel­nest, wo Kom­mi­li­ton:innen und Do­zie­ren­de dich halb­wegs sanft auf­ge­fan­gen haben bei Kri­sen, Un­wis­sen, Feh­lern oder sons­ti­gen Di­sas­ters.

Wie an­de­re Künst­ler:innen einen in­spi­rie­ren kön­nen

Heu­te… Well, heute, puh, “aus­hal­ten” – das ist manch­mal so pain­ful! Und da ist lei­der kein safes lie­bes Vo­gel­nest mit Bro­t­her­s’n’­Sis­ters mehr, das dich auf­fängt und trös­tet.

Die Struk­tur und vor allem die Exis­tenz dei­nes ei­ge­nen Nes­tes ist nicht given, nicht selbst­ver­ständ­lich. Also baute ich mir mein ei­ge­nes Nest! Als (Solo-)Künst­le­rin kann es manch­mal ein­sam wer­den, denn um in den ei­ge­nen Ideen und Kon­zep­ten rum­zu­spin­nen, be­nö­tigt Mensch per se keine Kol­la­bo­ra­ti­o­nen mit an­der­wei­ti­gen Per­so­nen.

Über die letz­ten Jahre als Künst­le­rin lern­te ich wahn­sin­nig viele in­spi­rie­ren­de Kre­a­ti­ve ken­nen, die nicht mal un­be­dingt genau die glei­chen The­men oder Me­di­en wie ich ab­han­deln, aber mich bei ge­wis­sen The­men, Er­fah­run­gen oder An­lie­gen ver­ste­hen, gleich er­le­ben oder eine ähn­li­che Mei­nung ver­tre­ten. (Oder eben eine ganz an­de­re und wir uns dann ge­gen­sei­tig chal­len­gen. ;))

Als PoC habe ich eine an­de­re Re­a­li­tät in der Schwei­zer Kunst­welt

Lei­der ist es je­doch Fakt, dass ich als ei­ner­seits junge Frau, aber auch als Peo­ple of Color (PoC) eine ganz an­de­re Re­a­li­tät (in) der Schwei­zer Kunst­welt habe als je­mensch, der oder die weiss ist. Das kann das Er­schaf­fen eines neuen Kunst­wer­kes durch­aus be­ein­flus­sen.

Es stellt sich also die Frage, für wen Kunst ge­macht und ge­zeigt wird, von wem wird sie ent­wor­fen und unter wel­chen Be­din­gun­gen? Wel­che Mo­ti­va­ti­on steckt hin­ter dem Werk, wel­che Mes­sage möch­ten die Künst­ler:innen ver­tre­ten und aus wel­chem Be­weg­grund?

Un­ver­ständ­nis und Miss­trau­en kön­nen Kunst aus­brem­sen

Manch­mal finde ich mich in Struk­tu­ren wie­der, wo ich mich “aus­ge­bremst” fühle. Aus­ge­bremst in mei­nem ur­sprüng­li­chen Wunsch, wie ich ein Vor­ha­ben, ein Pro­jekt, eine Idee ab­han­deln möch­te, weil es auf Un­ver­ständ­nis, Miss­trau­en oder auf reine Igno­ranz stösst. Diese Mo­men­te er­for­dern ein Um­den­ken, ein Neu­den­ken, manch­mal sogar ein An­pas­sen mei­ner­seits und vor allem be­nö­ti­gen sie ein “Aus­hal­ten”. Es geht dann nicht mehr nur um Ge­duld, son­dern er­for­dert viel mehr noch ein emo­ti­o­na­les Aus­hal­ten. Ein Er­tra­gen.

In sol­chen Si­tua­ti­o­nen bin ich un­heim­lich dank­bar für mein Nest, das oft­mals mit-hält und mit-trägt, für mei­nen “Zwi­schen-Frei-Raum” zum Sprin­gen, La­chen und Heu­len, und vor allem für alle, die an mich und meine Ar­beit glau­ben und diese un­ter­stüt­zen.

Thi My Lien Nguy­en, Fo­to­gra­fin und Künst­le­rin
Thur­gau­Kul­tur

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