Zwischenfazit
Heimatlos: Theater, Tanz, Literatur und Jazz
Im Rückblick auf dreissig Jahre städtischer Kulturpolitik könnte ein Fazit lauten: Für Rock- und Clubkultur, für das unabhängige Kino, für Klassik und institutionelles Theater sowie für die bildenden Künste ist in der Stadt ausreichend und dauerhaft Raum geschaffen worden. Im Gegensatz dazu müssen sich das freie Tanz- und Theaterschaffen, der Jazz und die Literatur mit Provisorien zufrieden geben.
Sie alle sind an wechselnden Orten oder Zwischennutzungen nomadisch unterwegs, nisten sich mal hier und mal dort ein wie die Jazzreihe Gambrinus oder das Literaturhaus Wyborada, bauen Zelte wie die Cie.Buffpapier oder der Cirque de Loin, bespielen theaterfremde Räume wie das Panorama Dance Theater.
Heute
Schwarz auf weiss im Kulturkonzept
Dass ein Bedürfnis nach Lokalitäten für Auftritte und Proben hiesiger Gruppen, aber ebenso auch für Gastspiele auswärtiger Künstler:innen vorhanden ist, hat sich unter anderem in Zwischennutzungs-Projekten gezeigt – so bei der von Saiten initiierten Bespielung des inzwischen abgebrochenen Kinos Rex, bei den «Geilen Blocks» für die Bildende Kunst oder den zahlreichen Theaterprojekten in der Grabenhalle, jenem Haus, das bis heute am glaubwürdigsten den Anspruch einer «Halle für alle» einlöst, aber auch nicht eigentlich für Theater- und Tanzzwecke ausgelegt ist.
Das unbestrittene Raumbedürfnis fand schliesslich 2020 Eingang ins neue städtische Kulturkonzept. An prominenter Stelle ist dort als Massnahme formuliert: «Ein professionell geführtes Haus bietet Arbeitsräume und Aufführungs-, Ausstellungs- und Koproduktionsräume für die freie Szene. Es funktioniert spartenübergreifend und ermöglicht Gastspiele auswärtiger Gruppen.»
«Testlabor für fixes Haus»
Das «professionell geführte Haus» ist weiterhin bloss Wunsch statt Wirklichkeit. Aber eine Hülle existiert: eben jenes Provisorium namens Umbau, mit dem das Theater St.Gallen die zweieinhalb Jahre der Renovation bis Herbst 2023 überbrückt. Seit 2018 geistert der Vorschlag, dieses Provisorium nach der Wiedereröffnung des Theaterbaus für die Freien weiterzunutzen, durch die Saiten-Seiten und die interessierte Öffentlichkeit, siehe unter anderem die Beiträge hier oder hier
Den Ball hat im Oktober der St.Galler Stadtparlamentarier und SP-Stadtpartei-Präsident Peter Olibet aufgegriffen: «Der Wunsch nach einem Haus für die freie Szene und das – nach dem Abschluss der Sanierung des Theaters – leerstehende Theaterprovisorium könnte zu einem Glücksfall für die Kulturschaffenden in der Stadt St.Gallen werden», schreibt Olibet in einer Einfachen Anfrage an den Stadtrat.
Er bringt darin die Idee ins Spiel, das Provisorium weitere drei Jahre stehen zu lassen und als «Testlabor» der freien Szene, aber auch migrantischen Vereinen und anderen Interessierten zur Verfügung zu stellen. Olibet will vom Stadtrat unter anderem wissen, was für und was gegen eine solche befristete Nutzung spräche, was sie kosten würde und wer als Trägerschaft in Frage käme.
Auf Antworten an der Podiumsdiskussion kann man gespannt sein. Für den Anlass hat sich die freie Szene zusammengetan: Die Einladung kommt von igKultur und IG Tanz Ost, dem Verband der Theaterschaffenden t.Ostschweiz, dem im Sommer erstmals geplanten Theater-Zirkus-Festival namens Paula sowie POOL, dem Raum für Kultur im Lachenquartier, wo die Diskussion auch stattfindet.
Stadtpräsidentin Maria Pappa begrüsst, danach diskutieren der designierte Theaterdirektor Jan Henric Bogen, die Veranstalterin und IG-Kultur-Präsidentin Ann Katrin Cooper, Rebecca C.Schnyder vom neuen «Interfestival» Paula, der Toggenburger Kantonsrat und Kulturveranstalter Martin Sailer sowie Peter Olibet.
Allerdings müsste ein solches Haus für die Freien nicht zwingend bloss Aufgabe der Stadt sein. In Ausserrhoden gab es jahrelange, am Ende vergebliche Versuche, ein Werkhaus für die performativen Künste aufzubauen, niederschwellig und weniger als Aufführungs- als vielmehr als Arbeitsort gedacht. Im Thurgau gibt es eine lebendige, gut vernetzte freie Theater- und Tanzszene. Ein «Ostschweizer Haus für die Freien» läge da auf der Hand.
Schluss mit der «ständigen Raumsuche»?
Peter Surber, 13. Januar 2023, Saiten Magazin
Gesuch um Verlängerung der Baubewilligung und Nutzung des Provisoriums UMBAU
Anschliessend hat die igKultur Ost, ein Gesuch an die Stadt und den Kanton St.Gallen gestellt mit dem Antrag, die Baubewilligung für das Provisorium UMBAU von Konzert und Theater St.Gallen auf dem Unteren Brühl in St.Gallen um drei Jahre bis Ende 2026 zu verlängern und das Gebäude für eine dreijährige Pilotphase einer gemischten, gemeinsam entwickelten Nutzung von Konzert und Theater St.Gallen und freier Tanz- und Theaterszene zur Verfügung zu stellen.
Dieser Antrag wurde abgelehnt, die Verhandlungen mit der Stadt und Kanton laufen allerdings weiter. Auch die AG Haus für die freie Szene plant weitere Schritte, um das Haus in absehbarere Zukunft eröffnen zu können, denn auch der öffentliche Kulturappell Aufbruch statt Abbruch hat gezeigt, die Ostschweizer Kulturszene ist vital und mehr Raum für Kultur längst überfällig.
DAS HAUS
Seit Jahrzehnten fordern freie Kulturschaffende aus Theater, Tanz, Performance, Musik und anderen Sparten also Raum zum Arbeiten, Aufführen, Vernetzen. Bisher vergeblich – jetzt gibt es DAS HAUS. Den «Raum für die freie Kulturszene». Es steht am Kulturplatz 1a, 9000 St.Gallen. Und es hat ein fantastisches Programm.
Feierliche Eröffnung ist am 30. September 2023:
www.dashaus.sg
Eine Initiative der ig tanz ost, t.Ostschweiz und einem Unterstützer*innenkreis von über 600 Personen.
News-Ticker
In punkto das Haus für die freie Szene passiert viel, in kurzer Zeit. Es geht etwas, das freut uns!
Es kann allerdings leicht passieren, dass man den Anschluss verliert. Damit das nicht geschieht und alle den Überblick behalten, folgt an dieser Stelle ein News-Ticker mit Informationen zu den wichtigsten Ereignissen und Aktivitäten rund um das Thema.
Ergänzungen, Fragen oder Anmerkungen können jederzeit via info@ig-kultur-ost.ch mitgeteilt werden.
Stand: 5. Dezember 2023
- Eingabe von Raumbedürfnissen an das Hochbauamt Kanton St.Gallen
- Vereinsgründung Das HAUS und Koordinationssitzung mit dem Pool - Raum für Kultur und Paula Interfestival
- Abklärungen für eine mögliche Projektgruppe «Kanton St.Gallen, Stadt St.Gallen und IG Haus mit Vertreter:innen aus der freien Kulturszene» (die Gruppenkonstellation bleibt zu definieren) für die Umsetzungsphase laufen
Stand: 16. Januar 2023
Das Haus geht in die zweite Runde und hat den neuen fiktiven Spielplan für Januar und Februar 2024 publiziert mit wiederum all dem, wofür DAS HAUS Raum, Zeit, Vernetzung und Inspiration bietet: Tanz-, Theater- und Performanceproduktionen, Konzerte, Workshops, Proben, Vermittlungsangebote, Weiterbildung, Debatten, Gespräche, Austausch an der Bar, Arbeit in der Werkstatt, Feste und so weiter.
Stand: 2. Februar 2023
DAS HAUS ist nun ein offizieller Verein, dem man via briefkasten@dashaus.sg beitreten oder mit einem Abo finanziell unterstützen kann. Mehr dazu unter www.dashaus.sg
Das HAUS vereint Mitglieder der freien Szene und bildet gemeinsam mit den beiden Projekten POOL – Raum für Kultur "Arbeitsort", Paula Interfestival "Aufführungsmöglichkeiten" eine solide Kulturvertretung, um in die Umsetzungsphase mit der Stadt und dem Kanton St.Gallen überzugehen.
Nächster Schritt: übergeordnete Projektgruppe Kultur, Stadt und Kanton.